Kult um klebrige Kicker

Nicht nur, aber auch in Hamburg grassiert die Sammelmanie: Und der Countdown läuft: Bis zum Anpfiff am 9. Juni muss das Fußball-Bilder-Album voll sein. Geballt kommt die Gemeinde der Sammler und Tauscher jeden Mittwoch in einem Schnellimbiss im hippen Hamburger Schanzenviertel zusammen

von PRIYA PALSULE-DESAI

Knusprige Pommes dampfen in heißem Öl, Bratwürste brutzeln auf dem Grill, das Aroma weckt Heißhunger. Heiß sind die Gäste des Imbisses „Schmitt Foxy Food“ im Hamburger Schanzenviertel aber wohl am meisten auf den regelmäßigen Panini-Stammtisch. Panini, das ist kein italienisches Weißbrot, sondern der bekannteste Hersteller von WM-Fußballbildchen. In der Hamburger Frittenbude ist jeden Mittwoch Panini-Zocken angesagt: Dann drängen sich die Sammler um die Stehtische.

Kein Platz ist mehr frei, darum sitzt Angela Barilaro auf der Fensterbank. Seit ihrer Kindheit sammelt die Art Buyerin leidenschaftlich Fußball-Sticker. Vier Stapel holt sie aus ihrer herzförmigen Kiste hervor. „Ich tausche für Frankfurter Freunde mit“, sagt die 31-Jährige. Jedes der ihr anvertrauten Bündel ist feinsäuberlich mit einem Namen versehen, um Verwechslungen zu vermeiden. Neben dem Tauschgut hat jeder Sammler eine Liste dabei, und dann geht es los: Tauschpartner suchen, Sticker durchforsten und Tauschen. Das Schönste zum Schluss: die Liste abstreichen.

Vom „Wibbeln“ ins Web

Normales Tauschverhältnis ist eins zu eins. Clemens Storck ist großzügiger. Er sucht nur noch neun der 597 Bilder. „Wenn ich einen Spieler finde, gebe ich jetzt auch schon mal zwei Bilder ab.“ Der 37-jährige Projektleiter hat seine Bildliste in einem elektronischen Organizer gespeichert. Damit geht er von Tisch zu Tisch. Links den Organizer und rechts den Stift in der Hand, betet er Bildnummern herunter. Ein bisschen sieht er aus, als nähme er Imbiss-Bestellungen entgegen.

„Wahnsinn.“ Fasziniert schaut ihm Matthias Weismann über die Schulter. „Wenn ich bedenke, dass wir früher auf dem Schulhof noch ‚gewibbelt‘ haben.“ Beim „Wibbeln“, so der 30-jährige Koch, wirft jeder einen Sticker gegen eine Wand. Wer am weitesten wirft, darf alle Bilder einheimsen. Die „Wibbler“ von damals haben auch den Weg ins Internet gefunden. In unzähligen Foren tummeln sich mittlerweile Sammler.

Die Euphorie ist auf ganze Familien übergesprungen. Auf einem Imbiss-Hocker sitzt der sechsjährige Jonas neben seiner Mutter. Die steckt gerade mitten in Tauschverhandlungen – für ihren Sohn. „Ich gehe ja nur mit“, sagt sie beinahe entschuldigend, „weil er noch so klein ist.“

Begonnen hat der Kult 1974 in Deutschland mit Franz Beckenbauer und seinen Mannen. Seit Ende April gibt es auch für die anstehende WM wieder neue Paninis: für 50 Cent ein Päckchen mit fünf Bildern. Alle 32 teilnehmenden Nationen sind berücksichtigt. Im Sammelalbum steht noch Oliver Kahn im deutschen Tor – Redaktionsschluss war Ende Januar. Erst seit dem 1. Juni gibt es auch Jens Lehmann zum Kleben. In die Tüte kommt er allerdings nicht: Wer beim Verlag Bilder nachbestellt, erhält den Torwart gratis dazu. „Die deutsche Nummer eins“, sagt Panini-Sprecherin Birgit Barner, „darf bei der WM im eigenen Land natürlich nicht fehlen.“

Weltmeister im Sammeln?

Die doppelten Sticker schweißen die Sammler zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen. Der Panini-Bilderdienst ist zwar ein Notnagel, „doch wer ein echter Sammler ist, der tauscht nur und bestellt nicht“, sagt Clemens Storck. Wie alle hier will er das Album bis zum Eröffnungsspiel am 9. Juni voll haben, „beim Spiel Deutschland gegen Costa Rica einfach nachschauen können, wer das 1:0 geschossen hat“.

Ein komplettes Album kostet mindestens 60 Euro. Storck hat bereits 65 Euro berappt. Wie Angela Barilaro glaubt er zu wissen, dass manche Spieler häufiger gedruckt werden, um mehr Sticker zu verkaufen. „Das ist ein Gerücht“, wiegelt Panini-Sprecherin Barner ab. „Bei der Masse, die wir am Tag produzieren, lässt sich eine unterschiedliche Druckmenge logistisch überhaupt nicht realisieren“. 13 Millionen Tüten werden täglich im italienischen Modena für 110 Länder hergestellt. Deutschland ist nach Mexiko und Italien drittstärkste Sammlernation. Der Rekord von 500 Millionen verkauften Stickern ist hier fast erreicht. „Dann“, so Barner, „ist Deutschland zumindest schon mal neuer Sammel-Weltmeister.“

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