„Endlich mal eine Debatte“

■ Ja oder nein? Landesweit debattierte die Berliner SPD über den Koalitionsvertrag mit der CDU, teils öffentlich wie in Dahlem und Pankow, teils intern. Am heutigen Donnerstag um Mitternacht ist Einsendeschluss. Fast einhellige Ablehnung gab es Mitgliedern zufolge bei der SPD Spandau und bei den Jusos, vorwiegend Gegenwind zufolge auch bei einer Versammlung der SPD Tempelhof-Schöneberg. In einem Treffen zweier Kreuzberger Ortsvereine hingegen tendierte die Stimmung laut Teilnehmern deutlich pro Koalition. Von den Mitgliederforen im Willy-Brandt-Haus und im Tempodrom wiederum berichteten Teilnehmer über viel Kritik, ohne dass sich eine konkrete Mehrheit abgezeichnet hätte. (sta)

Der Mann gibt sich alle Mühe. Er lobt nicht in höchsten Tönen an Schwarz-Rot, was sowieso keiner glauben würde. Er kritisiert am Koalitionsvertrag, was ohnehin niemand schönreden kann. Und dann vereinnahmt Jan Stöß, Landeschef der SPD, bei den Genossen in Steglitz-Zehlendorf den Übervater der Partei, der nicht weit von hier begraben ist: Auch Willy Brandt sei in eine Große Koalition gegangen – „und war am Ende Bundeskanzler.“ Durchschlagenden Erfolg hat Stöß damit nicht: Nach gut zwei Stunden Diskussion steht es nach wertbaren Wortmeldungen sechs zu vier gegen Schwarz-Rot im Bund.

Rund 2.000 Mitglieder hat die Berliner SPD im südwestlichsten Kreisverband, gut hundert sind an diesem Abend in den Hörsaal des Botanischen Museums in Dahlem gekommen. Stöß hat schon einige dieser Veranstaltungen hinter sich, gibt den Kritiker, der aber unterm Strich mehr Vor- als Nachteile sieht. Mehrere Redner stellen dagegen einzelne Punkte nach vorne, bei denen sie enttäuscht sind. Das gilt vor allem für den Mindestlohn, weil der erst ab 2015 gelten soll, teils sogar erst ab 2017.

Sehr präsent ist das Trauma, nach der Großen Koalition von 2005 bis 2009 im Bund das bisher schlechteste SPD-Wahlergebnis aller Zeiten kassiert zu haben. Die erste Große Koalition, von 1966 bis 1969, erwähnt außer Stöß hier keiner. Aber nicht allen mangelt es an Selbstbewusstsein. Eine Vertreterin der AG 60 plus plädiert für Zustimmung – „wir sind sicherlich nicht so ein schwacher Koalitionspartner wie die FDP.“ Auch Kreischef Michael Arndt ist bei den Ja-Sagern – ihn überzeugt vor allem, was die SPD in der Bau- und Wohnungspolitik durchgesetzt hat.

Sechs zu vier: kein schlechtes Ergebnis in einem Kreisverband, der Ende September formulierte: „Wir gehen davon aus, dass eine Zusammenarbeit mit der Union an politischen Sachfragen scheitert, weil es dort kein ausreichendes Interesse für eine soziale und offene Gesellschaft gibt.“ Und auf keinen Fall dürfe die Sozialdemokratie „den Eindruck erwecken, eine Koalition wäre die einzige Option, Politik zu gestalten.“ Der Ortsverein Dahlem lud Ende November Linken-Chef Klaus Lederer ein, um das Modell Rot-Rot-Grün auszuloten.

Manche im Saal gewinnen dem Streit über den Koalitionsvertrag jenseits von Ja oder Nein etwas Positives ab. 52 Jahre sei er in der SPD, sagt einer, „und nun gibt es zum ersten Mal eine Diskussion zwischen Vorstand und Mitgliedern“. STEFAN ALBERTI