Jugendhilfe nur mit Glück

Neues Jugendhilfegesetz „Kick“ bietet minderjährigen Flüchtlingen Schutz vor Abschiebung. Präzedenzfall des 16-jährigen Achmed setzte Hamburgs Jugendbehörde unter Zugzwang

von Kaija Kutter

Ohne es an die große Glocke zu hängen, hatte die alte rot-grüne Regierung im Herbst in ihrem „Kinder und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz“ (Kick) eine wichtige Verbesserung für alleinreisende minderjährige Flüchtlinge eingebaut. Wurden diese seit der Verschärfung des Asylgesetzes von 1992 wie Erwachsene behandelt, in deren Unterkünfte verwiesen und abgeschoben, so stehen sie seit dem 1. Oktober ebenso wie die Jüngeren unter dem Schutz der Jugendhilfe. Jedes Jugendamt ist verpflichtet, auch 16 und 17-Jährige, die sich ohne Eltern im Land aufhalten, „in seine Obhut zu nehmen“.

„Wir konnten bisher nicht kontrollieren, ob die Hamburger Behörden sich daran halten“, berichtet Conny Gunßer vom Hamburger Flüchtlingsrat, der nun half, für den 16-jährigen Achmed*, der Ende April ohne Eltern als Flüchtling aus Palästina in Hamburg eintraf, dieses Recht durchzusetzen. Der Junge ist Epileptiker und brach bei seiner Ankunft mit einem Anfall zusammen. Das Krankenhaus St. Georg in der Innenstadt nahm ihn auf, behandelte ihn, und forderte in dem Entlassungsbrief eine „engmaschige ambulante Behandlung“. Doch ohne Krankenschein fand der Junge keinen Arzt, der ihn behandelte. So wandte er sich an die Mitarbeiter des Flüchtlingstreffpunkts „Café Exil“, gegenüber der zentralen Hamburger Ausländerbehörde. Doch als diese ihn am 5. Mai mit der Bitte um „Inobhutnahme“ zum zuständigen Hamburger Kinder und Jugendnotdienst brachten, verweigerte dieser die Aufnahme und brachte den Jungen zur Erwachsenenunterkunft auf dem Wohnschiff „Bibby Altona“ an der Elbe. Dort wird Achmed, der nur bruchstückhaft englisch spricht, der Ausländerbehörde vorgeführt und, nachdem er einen Asylantrag unterschreibt, an die neue Hamburger Außenstelle im Mecklenburgischen Horst verwiesen, wo es weder eine Schule noch Ärzte gibt.

„Der Junge verbrachte einige Nächte auf der Straße und kam am 8. Mai wieder zu uns“, berichtet Café-Exil-Mitarbeiter Burkhard Werner. Daraufhin versuchten die Helfer beim Jugendamt Eimsbüttel mit Verweis auf das „Kick“ eine Inobhutnahme zu erwirken, was abermals scheiterte. Erst als am 12. Mai ein Familienrichter eingreift und in einem Vermerk schreibt, dass „dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass der Jugendliche ohne Obdach gefährdet ist“, nimmt der Kindernotdienst ihn endlich auf und gibt ihn in eine Jugendeinrichtung.

Doch die Ausländerbehörde will den Palästinenser weiterhin nach Horst umverteilen. Erst 17 Tage später gibt sie dem öffentlichen Druck nach und versichert gegenüber Anwältin Sigrid Töpfer, dass er gemäß Paragraf 14 des Asylverfahrengesetzes in der Jugendeinrichtung bleiben darf. Als Achmed am 2. Juni zur „Reisewegsbefragung“ im Amt vorsprechen muss, schätzt der dortige Sachbearbeiter plötzlich das Alter des Jungen neu – auf 20 Jahre. Er ruft die Kripo, um ihn für die Abschiebung festnehmen zu lassen. „Die Polizistin hat gesagt, der ist höchstens 16, 17 Jahre alt und sich geweigert, ihn mitzunehmen“, berichtet Burkhard Werner.

Achmed hat also noch mal Glück gehabt und wird jetzt „hoffentlich zur Ruhe kommen“, wie Conny Gunßer sagt. Nach Informationen der Flüchtlingshelfer tobt nun innerhalb der Hamburger Behörden der Streit, wie künftig mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen verfahren wird. Wie eine Anfrage der Grünen ergab, wurden die über 16-jährigen in Hamburg bisher nicht geschont: Von 33 seit Januar 2006 eingereisten wurden lediglich sechs in Obhut genommen, darunter neben Achmed nur ein zweiter 16-Jähriger. Während die zuständige Sozialbehörde noch vor zwei Wochen gegenüber der Presse zusicherte, man werde künftig alle Flüchtlinge bis zur Volljährigkeit aufnehmen, ruderte die Behörde kurz darauf in einem Brief an die Jugendeinrichtungen zurück: Die über 15-Jährigen seien nur „vorläufig unterzubringen“.

Wie Behördensprecherin Katja Havemeister versichert, ist damit nur die Vorläufigkeit der Inobhutnahme gemeint. Jeder minderjährige Flüchtling habe das Recht, darum zu bitten. Während dieser Zeit werde festgestellt, ob es Bedarf für eine Erziehungshilfe gebe. „Die dauert dann solange, wie der Jugendliche sie braucht.“ *Name geändert