Siegergeist im Mietpreis inbegriffen

Heute zieht die spanische Fußball-Nationalmannschaft in das Sportzentrum Kaiserau ein. Eine Spurensuche an einem mythischen Ort

KAMEN taz ■ An seiner Bürowand hängt Carsten Jaksch-Nink als Spanier. Jaksch-Nink, Nummer 18, steht auf dem feuerroten Trikot der spanischen Nationalelf. Der Verwaltungsdirektor des Sportzentrums Kaiserau hat es mit Reißzwecken befestigt. Wer trägt die 18 bei dieser WM eigentlich wirklich für Spanien? Gute Frage, sagt Jaksch-Nink, 38, da rufe er schnell einmal Raúl an. Kurz bleibt einem die Luft weg. Bis sich herausstellt, dass es doch nicht Spaniens legendärer Stürmer Raúl ist, den Jaksch-Nink einfach so anruft, sondern Raúl, den Übersetzer der spanischen Elf.

Das Trikot an der Wand ist schon seit März da, ein erstes Gastgeschenk. Am heutigen Donnerstag nun zieht die spanische selección zur WM in das Sportzentrum Kaiserau in Kamen bei Dortmund ein – in der Hoffnung, dort einen Geist zu wecken. „Im Mietpreis inbegriffen: der Siegergeist“, titelte die Madrider Sportzeitung As. In Kaiserau wohnte die deutsche Elf, als sie 1974 Weltmeister wurde, hier bereitete sie sich – nach dem Aufenthalt in Malente – auf ihren Triumph bei der WM 1990 in Italien vor. So ruft die spanische Quartierwahl zwar noch keine Geister hervor, doch einen besonderen Ort des deutschen Fußballs in Erinnerung.

Kaiserau steht dafür, dass alles gut wird. Auch 1974 kam die bundesdeutsche Elf nach der Vorrunde aus der Sportschule Malente hierher, geplagt vom Lagerkoller und dem 0:1 gegen die DDR. Nach der Ankunft in Kaiserau ging Kapitän Franz Beckenbauer in ein Wirtshaus namens Lander. Das galt damals als rechter Rahmen für eine Pressekonferenz. Dort übte Beckenbauer eine Totalkritik an seiner Elf, die Frankfurter Rundschau fasste zusammen: „Fast alles richtig macht nach Franz Beckenbauer nur der Franz Beckenbauer.“ Sie fand den Auftritt „historisch“. Die Rede wurde als Entmachtung von Bundestrainer Helmut Schön durch den Libero gedeutet. Danach gewannen sie nur noch. Am Ende war es ein Mythos: Wer aus Kaiserau loszog, kam als Weltmeister zurück.

Heute ist der Gasthof Lander abgerissen, und die Erinnerung kommt Bernd Hölzenbein, dem Linksaußen von 1974, nur verschwommen zurück. „Von Franz’ Pressekonferenz bekam ich gar nichts mit. Ich konnte doch nicht den ganzen Tag im Aufenthaltsraum sitzen und warten, dass da irgendwann zwei Minuten im Fernsehen gezeigt wurden.“ Vom Kommunikationszeitalter sprach man damals wohl noch nicht. „Es gab nur ein Telefon“, sagt Hölzenbein, „im Büro der Sportschule. Da saß immer einer daneben, stoppte die Zeit des Telefonats, das wurde dir am Ende von den Spesen abgezogen.“

Wie die Zimmer aussahen? Hölzenbein lacht fast still. „Weiß ich nicht mehr, da hatte ich letztens schon mit dem Grabi eine lustige Diskussion über die Toiletten in der Sportschule Malente.“ Der Grabi, Jürgen Grabowski, Hölzenbeins Frankfurter Mitweltmeister, glaubt sich zu erinnern, es habe Toilette und Dusche auf den Zimmern gegeben. Hölzenbein sagt: „Vielleicht in deinem Zimmer, für die Stars.“ In Kaiserau, klärt Jaksch-Nink auf, teilten sich 1974 zwei Doppelzimmer ein Bad.

Noch immer übernachten hier Schulklassen für 23 Euro pro Person, auch in dem intern Beckenbauer-Suite gerufenen Zimmer, in dem er 74 und 90 logierte. Es lässt sich an diesem Tag leider nicht besichtigen. Ein Holländer hat es bezogen.

Nationalteams dagegen residieren heute gewöhnlich in Luxushotels, umso verblüffter waren viele, dass sich Spanien Kaiserau aussuchte. Aber der Geist von Kaiserau hat sich modernisiert, er kommt nun mit Wellnessbereich daher: Für 13,5 Millionen Euro wurde rechtzeitig zur WM neben der alten Herberge ein Sporthotel errichtet, „gefühlte vier Sterne plus“, sagt Jaksch-Nink. Die Schokolade für Raúl liegt schon auf dem Kopfkissen. Eine der schönsten Fragen des Fußballs stellt sich nicht mehr: wer mit wem im Bett. Heute haben die Spieler Einzelzimmer. „Hier werden wir alles haben, ohne aus dem Haus zu müssen: fantastische Trainingsplätze, Erholungsbereich, es fehlt kein Detail“, sagt Spaniens Nationaltrainer Luis Aragonés, „jetzt muss uns nur noch der Geist streifen.“

In Kaiserau werden unterdessen die letzten Vorbereitungen getroffen, ein Haferfeld zum Parkplatz niedergemäht, Christoph Pech, der Koch des Sportzentrums, hat schon den Speiseplan bis zum ersten Spiel der Spanier in sechs Tagen vorliegen. Er musste vor dem Teamarzt vorkochen, „Reis und Nudeln, da wurde die Konsistenz getestet“, sagt Jaksch-Nink: „Er hat die Probe mit Bravour bestanden.“ So darf der Koch jetzt sogar alleine auf dem Dortmunder Großmarkt den Fisch für Spanien einkaufen gehen. Beim Kochen steht ihm ein Spanier zur Seite; schon um dem Mahl die landesübliche Würze zu verleihen.

Das gibt einem eine Idee, was für ein Unternehmen der Aufenthalt eines Nationalteams geworden ist. Sein Handy unterbricht Jaksch-Nink. Er zerstreut die Hoffnungen der lokalen Medien: „Nein, der spanische König wird nicht kommen.“

RONALD RENG