Zehn rennen auch nicht mehr als elf

Rot ist gar nicht so prima wie gedacht: Eine neue Studie räumt mit einem beliebten Fußballmythos auf

BERLIN taz ■ Mit der roten Karte wird geradezu inflationär herumgewedelt dieser Tage. Die Fifa bekam sie, als sie sich den Begriff „Fußball WM 2006“ markenrechtlich sichern wollte, für rauchfreie Stadien zeigten zahlreiche Initiativen dem blauen Dunst die rote Karte, und dann geht sie noch an die Zwangsprostitution, die ja im Vorfeld der Weltmeisterschaft ebenfalls ein Riesenthema ist.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun eine Studie vorgelegt, die die beliebte Metapher wieder auf den grünen Rasen zurückholt und sich mit ihrem eigentlichen Zweck befasst. In aller Ausführlichkeit haben sich die Forscher mit dem Feldverweis und seinen Auswirkungen auf Spielgeschehen und -ausgang beschäftigt. Titel der 16-seitigen, mit allerhand garantiert unverständlichen mathematischen Formeln gespickten Arbeit: „Ten Do it Better, Do They? An Empirical Analysis of an Old Football Myth“.

Der Fußballmythos sagt: Zehn Mann spielen besser als elf. Klingt eher unlogisch? Der Glaube daran ist aber nichtsdestotrotz weit verbreitet. Die Idee hinter der Mär: Wird ein Spieler des Platzes verwiesen, steigert das den Teamgeist und die Leistung steigt mit. Im Volksmund: Zehn rennen mehr als elf. Um das zu überprüfen, hat das DIW eine hoch komplizierte Analyse der Platzverweise und ihrer Folgen auf die WM-Spiele zwischen 1930 und 2002 durchgeführt.

Dabei wurden alle 643 Spiele der 17 Weltmeisterschaften in den Jahren 1930 bis 1938 und 1950 bis 2002 ausgewertet. In diesen Spielen wurden insgesamt 89 Spieler vom Platz gestellt. Da die Zahl der Teams bei Weltmeisterschaften im untersuchten Zeitraum von 73 Jahren von 13 auf 32 angestiegen ist, verwundert der Anstieg der Platzverweise nicht. Aber auch prozentual gesehen gilt: Es werden immer mehr rote Karten vergeben und immer weniger Tore erzielt. So sanken die Tore pro Spiel von 3,89 Prozent auf 2,52, und die Zahl der Platzverweise stieg von 0,06 Prozent im Jahr 1930 auf 0,20 Pozent in 2002. Die Frage, ob die Spieler rüpeliger oder die Regeln schärfer werden, beantwortet die Studie nicht. Ebenso bleibt offen, wie die sinkende Torzahl zu erklären ist.

Die Spiele, in denen rote Karten verteilt wurden, hat das DIW genauestens untersucht. In die Berechnungen einbezogen sind: die Spielminute, in der der Platzverweis erteilt wird; die relative Stärke beider Mannschaften, gemessen an der Tordifferenz zum Zeitpunkt des Platzverweises; und mögliche das Spiel beeinflussende Faktoren wie Heimvorteil oder Spiel in einer „Todesrunde“.

In 63,9 Prozent aller Fälle, fand das DIW heraus, ändert die rote Karte den Spielverlauf nicht. Allerdings, stellten die Forscher fest, kann man möglicherweise anhand einer Karte bereits erkennen, welches Team womöglich gewinnen wird. Denn: In 40,7 Prozent aller Fälle geht die rote Karte an das Team, das verlieren wird, und nur in 9,3 Prozent an die Mannschaft, die zu diesem Zeitpunkt schon in Führung lag. Vielleicht sind auch nur die Schiedsrichter Opportunisten. Das aber wurde nicht untersucht.

Allerdings einen direkten Einfluss auf den weiteren Verlauf scheint der Platzverweis nicht zu haben: In 20 Prozent der Fälle verschlechterte sich die dezimierte Mannschaft, und immerhin in 16 Prozent der Fälle konnte sie ihr Ergebnis sogar noch verbessern.

Untersucht wurde auch nicht, welche Form der roten Karte welchen Einfluss auf den Spielverlauf nimmt, ob sie laut Fifa-Regeln nach einer „groben Unsportlichkeit“ vergeben wird, nach bösem Foulspiel, Unflätigkeiten verbaler oder körperlicher Art oder weil eine Torchance des Gegners mit absichtlichem Handspiel vereitelt wurde.

Fest steht nach dieser Studie immerhin: Die Auswirkung einer roten Karte auf den Spielverlauf wird immer geringer, je später sie erteilt wird. Das hätte man sich fast gedacht, aber nun ist es wissenschaftlich erwiesen: Rot, vergeben in der 60. Minute, wird laut Untersuchung das Spiel kaum beeinflussen. Ein früher Platzverweis dagegen steigert die Gewinnchance für das noch vollständige Team. So schießt die vollständige Mannschaft nach einem Platzverweis durchschnittlich drei Tore mehr. KIR