Meine WM
: Krieg spielen in Lens

Was Männerseelen bewegt: Redakteure der taz nrw plaudern prägende WM-Erlebnisse aus
Frankreich 1998: Wie ich zwischen Serben, Kroaten und deutsche Edelfans geriet – aber keinen Hooligan sah

■ Die Karten für das Vorrundenspiel Deutschland gegen Jugoslawien bei der WM 1998 in Frankreich hatte Tom besorgt. Tom ist einer meiner ältesten Freunde und heißt eigentlich Tomislav. Tomislav ist Deutsch-Kroate. Auch im Fußball. Als die BRD später im Turnier gegen Kroatien spielte, trug er bei Spielbeginn das deutsche Trikot. Als die Kroaten 3:0 in Führung lagen, hatte er Schwarz-Rot-Gold längst ausgezogen. Darunter hatte er die ganze Zeit sein rot-weißes Kroatenkaro getragen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der 21. Juni 1998 war ein netter, sonniger Tag. Im alten Benz von Toms Vater fuhren wir an diesem Sonntagmorgen nach Lens. Das kleine Städtchen im Norden Frankreichs war im Ersten Weltkrieg von Deutschland besetzt worden. 1940 kamen erneut deutsche Truppen. 54 Jahre später waren wieder mehr als 10.000 meist bierselige Deutsche in der Stadt.

Angekommen im Stade Félix Bollaert war die gute Laune rasch vorbei. Eines der schlechtesten DFB-Teams aller Zeiten erkämpfte dank Lothar Matthäus (Bild) ein 2:2 gegen aggressive Jugoslawen. Auch auf unserer Gegentribüne wenig Sympathisches: Wir saßen im Oberrang neben deutschen Schickimickifans, die 90 Minuten lang dumm herum nölten („Ziege raus!“).

Einige serbische Fans waren auch nicht besser. Glaubt man der Übersetzung von Tom, beschimpften in Hörweite sitzende Jugo-Supporter das DFB-Team als „Faschisten“ und griffen zu unfreundlichen Tiervergleichen. Tomislav jedenfalls habe ich in seinem schwarz-rot-goldenen Trikot vorher und nachher nie wieder so überzeugt „Deutschland!“ rufen sehen. Ich war auch nicht leiser, fürchte ich. Als ein jugoslawischer Spieler einen deutschen anspuckte, rasteste der teutonische Fanmob dann endgültig aus. Und wir waren leider auch dabei. Diese Überdosis Patriotismus ist mir bis heute peinlich.

Auf der Rückfahrt hörten wir im Autoradio, dass deutsche Hooligans einen französischen Gendarmen in Lens fast tot geschlagen hatten. Davon hatten wir nichts mitbekommen. Gewundert hat es mich angesichts der Aggressivität im Stadion nicht mehr. Zwischen Deutschland und Jugoslawien jedenfalls wurde aus dem Krieg spielen bald Ernst: Weniger als ein Jahr später begann der Kosovokrieg.

MARTIN TEIGELER