Wo Nazis sich zuhause fühlen

Die gute Nachricht für WM-Gäste: So genannte No-Go-Areas gibt es in Norddeutschland nicht, da sind sich Behörden und Opfervertreter einig. Aber Kerne rechtsextremer Aktivitäten stabilisieren sich, die Gefahr von Übergriffen steigt. Die taz macht kenntlich, wo Nazi-Strukturen klar etabliert sind

von ANDREA RÖPKE
und ANDREAS SPEIT

Im Norden ist die Neonazi-Szene im Kommen. Die NPD und die „Freien Kameradschaften“ treten zunehmend offensiv auf. Längst haben sich rechte Netzwerke entwickelt. NPD und Kameradschaften bemühen sich verstärkt, bürger- und jugendnah aufzutreten.

Die Verfassungsschutzämter beobachten ein stetiges personelles Anwachsen der Szene. David Janzen von der Braunschweiger „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ betont, dass die Rechten mit ihrem Angebot zwischen Politik und Freizeit in ländlichen Regionen besonders erfolgreich sind. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein bieten die Neonazis auch schon mal Fußballspiele oder Mopedreparieren an. „Jugendtreffs, die nur ehrenamtlich betreut werden“, so Janzen, „suchten die Rechten ganz bewusst auf.“ Mike Hartwig von der „Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern e.V.“ betont: Wenn die Neonazis in den Städten oder Kreisen keinen gesellschaftlichen Widerspruch erfahren, werden sie sich noch stärker verankern können.

Trotz ihres bemüht biederen Images nehmen in den Aktionszentren der Neonazis meist auch die Straf- und Gewalttaten aus der Szene zu. In den letzten Tagen schändeten im niedersächsischen Beverstedt „Unbekannte“ erneut den jüdischen Friedhof, in Bad Segeberg griffen Neonazis ein selbstverwaltetes Jugendzentrum an, in Wismar schlugen Rechte auf einen indischen Händler ein, und in Hannover bedrängten Rechte einen Gambier und griffen danach die Polizei an. Nur vier Übergriffe aus den vergangenen Monaten.

In der aktuellen Bundesstatistik rechter Straftaten pro Einwohner liegt Schleswig-Holstein an fünfter Stelle – und unter den West-Ländern einsam an der Spitze. An siebter Stelle befindet sich Niedersachsen, noch vor Mecklenburg-Vorpommern. Hamburg liegt an zwölfter Stelle, Bremen an letzter. Aber selbst in Bremen haben die Gewalt- und Straftaten zugenommen. „Diese Statistik“, erklärt die niedersächsische Verfassungsschutz-Sprecherin Maren Brandenburger, „beinhalte alleine jene Taten, die die Polizei erfasste“. Sie hebt hervor: „Das müssen nicht alle rechten Straftaten gewesen sein.“ Viele Opfer würden gar nicht erst zur Polizei gehen, betont Szenekenner Janzen, mangels Vertrauen zu den Behörden oder aus Angst vor den Rechten. „Bei uns melden sich die Betroffen auch oft erst nur anonym“, berichtet er und: „Die Anrufe haben zugenommen.“

Von „No-Go-Areas“ in Niedersachsen könne aber nicht gesprochen werden. Vielmehr müsste von Räumen geredet werden, die mögliche Betroffene von rechter Gewalt bewusst meiden, sagt er. Ein Mitglied der „Aktion Jugendzentrum“ in Neumünster betont: „Man weiß, wann welcher Ort um welche Uhrzeit zu meiden ist“. In Schleswig-Holstein sei das „nicht bloß ein Stadtteil in Neumünster“. In Westmecklenburg, sagt Opferberater Hartwig, können sich Menschen mit dunkler Haut gar nicht angstfrei bewegen.