„Bild“ und Böger foulen Sozialarbeiterin

Ein taz-Interview schlägt hohe Wellen. Darin hatte eine Kreuzberger Sozialarbeiterin die Sichtweise eines schlagenden Schülers erklärt. Das wird ihr nun von der Boulevardpresse und dem Schulsenator als angebliche Rechtfertigung der Gewalt ausgelegt

von ALKE WIERTH

Die Kreuzberger Sozialpädagogin Fatma Celik, die sich in der Samstagsausgabe der taz zu dem Fall eines Grundschülers, der eine Lehrerin schwer verletzte, geäußert hatte, ist unter starken Druck geraten. Die Lehrerin, der der Zwölfjährige mit einem Fausthieb schwere Gesichtsverletzungen zufügte, hat gegen die Sozialarbeiterin eine „Dienstaufsichtsbeschwerde“ eingereicht. Die 62-Jährige fühle sich von der Sozialpädagogin „verhöhnt“, schrieb die Bild am Mittwoch. In dem Bericht äußert auch Schulsenator Klaus Böger (SPD) „hohes Verständnis“ für die Beschwerde: Die „verqueren Äußerungen“ der Sozialpädagogin seien „nicht akzeptabel“, so Böger laut Bild.

Fatma Celik leitet den Jugendtreff an der Kreuzberger Urbanstraße, in dem der Täter regelmäßig verkehrt. In der taz hatte sie unter anderem berichtet, dass er nun von manchen anderen Kindern und Jugendlichen „wie ein Held“ gefeiert werde. Viele Kinder hätten dort „null Erfolgserlebnisse“, so Celik im Interview, und weiter: „Es gibt Lehrer, die nicht in der Lage und auch gar nicht bereit sind, mit den Eltern zu kommunizieren.“ Zudem hatte Celik in diesem Zusammenhang auf den Fall eines Jungen verwiesen, der von seinem Lehrer geschlagen worden sei. „Und vor diesem Hintergrund sagen nun manche: Endlich wehrt sich mal ein Kind“, beschrieb die Sozialarbeiterin im taz-Interview die Reaktionen auf die Tat des Zwölfjährigen.

Vor allem diese Äußerungen haben offenbar den Unmut der Lehrerin erregt. Sie hat beim Presserat auch eine Beschwerde gegen die taz angestrengt. Die „Dienstaufsichtsbeschwerde“ gegen Celik ging deren Arbeitgeber gestern zu.

Ob sie für die 33-jährige Folgen haben kann, dazu wollte sich ihr Vorgesetzter Matthias Winter nicht äußern. Der Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses kann die Vorwürfe, die in der Bild und unterdessen auch vom Tagesspiegel erhoben werden, nicht nachvollziehen: „Frau Celik wird dort verkürzt und dadurch sinnentstellt zitiert“, sagte Winter. Im taz-Interview habe sie auf „Meinungen, Haltungen und Stimmen Dritter“ verwiesen: „In der aktuellen Berichterstattung werden diese wiedergegeben, als seien sie persönliche Wertungen von Frau Celik und Verharmlosung und Entschuldigung des Angriffs auf die Lehrerin. Das trifft aber nicht zu.“

„Ich bin erschüttert über die Darstellungen in Bild und Tagesspiegel“, sagt Celik. „Die Zitate sind so zusammengestellt, dass ihr Inhalt völlig falsch dargestellt wird.“ Sie will juristisch gegen die Berichterstattung vorgehen.

Seit sechs Jahren arbeitet Celik in der Kinder- und Jugendeinrichtung „Drehpunkt“ am Rande der Werner-Düttmann-Siedlung zwischen Urbanstraße und Hasenheide. Dort werden vor allem arabisch- und kurdischstämmige Mädchen und Jungen betreut. Die Sozialarbeiterin hat dort hoch gelobte Projekte realisiert: Beispielsweise die Zusammenarbeit mit einem russischen Straßenkinderzirkus, in deren Rahmen sie mit Berliner Jugendlichen nach St. Petersburg reiste.

„Wir schätzen Frau Celik als professionelle und engagierte Mitarbeiterin“, sagt ihr Vorgesetzter Matthias Winter. Die Friedrichshain-Kreuzberger Jugendstadträtin Sigrid Klebba (SPD) verweist auf die „wichtige gewaltpräventive Funktion“, die der Jugendtreff Drehpunkt habe.

Schulsenator Böger mochte den Ball gestern nicht flach halten. Er erneuerte gegenüber der taz seine Kritik an Celik. Im günstigen Fall seien ihre Aussagen „missverständlich – im ungünstigen Fall rechtfertigt sie die Gewalttat des 12-jährigen Mohammed mit Frust über Schule und Lehrer. Das kann ich als Bildungssenator nicht akzeptieren“, teilte Böger mit. Der Jugendtreff konnte unterdessen gestern seine Türen wieder öffnen. Am Mittwoch hatten Journalisten die SozialarbeiterInnen bei der Arbeit behindert.

Die Autorin wird nicht mal durch Ballacks Waden zum Fußballfan