katrin weber-klüver
: Wenn WM ist, muss überall WM sein

Alle meckern über den medialen Overkill an Fußball. Aber was, wenn an diesem schönen Freitag im Fernsehen erst ab Spätnachmittag über die WM berichtet würde? Wildes Herumzappen am Vormittag: Äh, wieso läuft „Reich und Schön“ und keine Reportage über Menschen in Costa Rica und keine Kerner-Klopp-Rasenbegehung? Oder am frühen Nachmittag. Wieso ein Tierfilm und kein WM-Countdown. Wäre man nicht sehr verstört, gar verstimmt? Nahe liegend der Gedanke, dass es wohl noch gar nicht losgeht, man sich geirrt, alles nur geträumt hat.

Damit wir sicher sind, dass WM ist, muss überall WM sein. Besonders im Fernsehen. Bedeutung hat nur, was pausenlos im Fernsehen läuft. An diesem schönen Freitag also überträgt das menschenfreundliche ZDF deshalb ab halb elf „Tour de Franz“, eine Beckenbauer-Betrachtung (hoffentlich nur von außen), dann einen WM-Auftakt-Gottesdienst, später „König Fußball“. Der vom Christkind geklaute Untertitel: „Wir warten auf den Anpfiff“. Nicht dass man eine dieser Sendungen sehen sollte, geschweige denn müsste. Ebenso wenig wie am späten Abend „WM-Comedy“ und „WM-Kultnacht“. Aber es wäre höchst irritierend, gäbe es das Geklingel nicht. Wir sind schon zu dauerbestrahlt, zu abhängig von pausenlosem Input, egal wie leer. Hauptsache Input.

1990 sah das Programm des WM-Eröffnungstages im Zweiten so aus: Nachmittags lief der Spielfilm „Kindermädchen für Papa gesucht“ mit Klaus Biederstaedt und Gunther Phillip. Erst um halb fünf begann Fußball mit der Übertragung von Eröffnungsfeier plus Eröffnungsspiel Argentinien–Kamerun. Kaum war abgepfiffen, ermittelte pünktlich ab acht Uhr „Derrick“. Es folgten noch „Auslandsjournal“, „Aspekte“, „heute“, ein Spielfilm. Fußball? Kam nicht mehr.

So war damals unsere Welt. So unaufgeregt und vielfältig, Fußball war trotzdem König. Inzwischen erzählen die Wort-Bild-Schnipsel zwar immer weniger, und kaum etwas bleibt haften. Aber wehe, sie fehlen. Wir sind schon leicht verblödet. Dabei ist es so schön, einfach ein Fußballspiel zu gucken.