Zwei Staaten, ein Team

Vor einer Woche entschied sich Montenegro für die Unabhängigkeit von Serbien. Das gemeinsame WM-Team tritt am Sonntag gegen Holland an, doch welche Nationalhymne wird gespielt?

AUS BELGRAD ANDREI IVANJI

Nichts kann die Freude der serbischen Fußballfans verderben. Hauptsache, man ist bei der WM in Deutschland dabei. Die Kleinigkeit, dass die Nationalmannschaft Serbiens und Montenegros (SCG) einen Staat vertritt, der nach der Unabhängigkeitserklärung Montenegros vor einer Woche nicht mehr existiert, oder dass das Team weder Hymne noch Fahne hat, ist nebensächlich. Die Information, ob und welche Ersatzhymne gespielt werden soll, war im SCG-Fußballverband nicht zu erhalten. Während der Qualifikationen wurde stets die von den Zuschauern ausgepfiffene Hymne des vor fünfzehn Jahren zerfallenen Gesamtjugoslawiens gespielt.

„Außer Torwart Dragoslav Jevrić und dem verletzten Stürmer Mirko Vucinić sind sowieso alle Spieler Serben“, sagt der fußballbegeisterte Ingenieur Dejan Pantić. Das sei keine Diskriminierung, sondern entspreche der Statistik. Das zehnmal kleinere Montenegro hätte eben zwei Vertreter in der Nationalelf gehabt. Jedenfalls könne man endlich reinen Herzens Serbien bejubeln, Montenegro habe bei Länderspielen ohnehin niemand erwähnt. „Das hat mich jahrelang schrecklich genervt, als ob wir nicht existierten“, sagt der Montenegriner Marko Pavlović. Gut, dass Montenegro endlich eigene Nationalteams haben würde.

Die Fußballmannschaft ist die letzte Institution des gemeinsamen Staates, die nach der WM aufgelöst werden soll. Die meisten Montenegriner, die beim Referendum für die Unabhängigkeit gestimmt haben, werden dem formal gemeinsamen, praktisch serbischen Team, dennoch die Daumen drücken.

„Ich bin der einzige Teamchef in Deutschland, der gleichzeitig zwei Nationalteams betreut“, scherzte der Trainer von SCG, Ilija Petković, vor der Abreise nach Deutschland, um die gute Stimmung in der Mannschaft zu bewahren. Doch nicht nur Politik, sondern auch der Abgang des nicht gerade erfolgreichen Trainer-Sohnes, Dusan Petković, aus dem Team, der für den verletzten Vucinić im letzten Moment einspringen sollte, beunruhigt den Teamgeist. Der junge Stürmer gab auf, als serbische Medien „Vetternwirtschaft“ und „Skandal“ aufschrien. So wird das „Zwei-Länder-Team“ als einzige Mannschaft in Deutschland nur mit 22 Spielern auftreten.

Und das alles in der „mörderischen“ Gruppe C mit Argentinien, den Niederlanden und der Elfenbeinküste – kaum jemand hegt hier Hoffnungen auf das Achtelfinale. Doch wer weiß, die Mannschaft hat die Qualifikationen unbesiegt als Gruppenerster vor Spanien beendet.

Superstars hat das SCG-Team keine, der bekannteste Spieler ist Dejan Stanković vom „FC Internazionale“ aus Mailand. Mit weltbekannten Ballzauberern hätten frühere jugoslawische Nationalmannschaften einen attraktiven, offensiven Fußball gespielt, doch bei Welt- und Europameisterschaften nie etwas erreicht, schreiben serbische Sportzeitungen. Trainer Petković hingegen setze nun auf Abwehr, Disziplin und kollektive Aufopferung – das habe Resultate gebracht.

So befindet sich Serbien nach Jahren wieder im Fußballfieber. Ohnehin feierte man gemeinsam mit Montenegro selbst nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien die Welt-, Europa- und Olympiameistertitel in Basketball, Wasserball, Volleyball. Nur die Fußballmannschaft der „balltalentierten Nation“ versagte beständig. Mannschaftskapitän Savo Milošević weiß das nur zu gut. Er hat für die Nationalmannschaft von Jugoslawien und der SCG gespielt und könnte auch für eine dritte, serbische Nationalelf spielen. „Jetzt brauchen wir unsere Einheit“, sagt er. Die Politik solle zu Hause bleiben, um zum letzten Mal würdevoll den gemeinsamen Sport zu vertreten.