Von Posen und utopischen Monsterstädten

FOTOGRAFIE Thomas Zielony lichtet seit langem pubertierende Jugendliche in sozialen Brennpunkten ab. Der Hamburger Kunstverein widmet ihm jetzt eine Schau, in der erstmals auch ein Film zu sehen ist

Thomas Zielony versucht nicht, futuristische Architektur als totalitär anzuklagen

Und dann steht man in diesem grauen Raum und denkt, mit diesen Fotos stimmt etwas nicht. Sie sind keine Laien-, aber auch keine Künstlerfotos, zudem hängen Landschaften scheinbar unmotiviert neben Porträts. All das passt schlecht zusammen.

Dabei wollen Thomas Zielonys Fotoserien „The Cast“ und „Trona“ im Hamburger Kunstverein durchaus Geschichten erzählen. Und langsam, während man die Porträts der Jugendlichen beäugt, die Zielony stets in Vorstädten fotografiert, bemerkt man, was sie eint: Alle sind inszeniert. Und zwar nicht nur die Jugendlichen, die laut Zielony international sehr ähnliche Posen einnehmen, sobald er auftaucht, sondern auch das Ambiente: Wie bestellt stehen die zwei Autos in der Wüste vor Trona, sind an genau den Masten geparkt, die die Komposition perfekt machen.

Die Jugendlichen derweil inszenieren sich oft als suchend in die Ferne blickende Gestalten. Zum Beispiel die träumerisch blickende Blonde aus der ehemals florierenden Minenstadt Trona, von der nach Entlassungswellen in den 90ern wenig mehr blieb als ein hoher Prozentsatz Crystal-Meth-Abhängiger. „Wenn du anbötest, sie hier wegzubringen, würden die meisten Mädchen von Trona nicht mal ihren Eltern Bescheid geben“, steht in einem an die Wand projizierten Blog eines Tronaer Jugendlichen. Eine interaktive Installation also, deren Realismus leider etwas von Zielonys Idee ablenkt. Die besteht weniger im Dokumentieren von Resignation, sondern im Changieren der Jugendlichen zwischen Maske und Echtheit. Dazu gehört auch, dass die Posen nicht immer perfekt sind: Der coole Blonde aus Trona schaut eine Spur zu verspannt; die Hände des Kapuzenträgers aus L.A. sind zu verkrampft, um lässig zu wirken. Von solch winzigen Brechungen lebt die Schau; das Imperfekte ist es, was diese Menschen authentisch macht.

Andererseits spielt Zielony ganz gern mit dem Surrealen: Im Kurzfilm „Le Vele di Scampia“ von 2009 nämlich, der aus 7.000 Einzelaufnahmen besteht. Er entstand in jener zum Mafia-Domizil gewordenen Vorstadt von Neapel, die in den 70ern als futuristisch galt. Gemacht ist sie aus Betonquadern, verbunden durch endlose Treppen, zerschnitten von schmalen Schächten. Zielonys Film zelebriert die monströse Architektur. Und weil die eben kantig ist, ist es auch sein bewusst gestückelter Film; es ruckelt und hoppelt, als müsse man all die Treppen live überwinden.

Trotzdem ist diese Mixtur aus Foto, Film und surrealer Animation schön. Denn Zielony ist kein Sozialreformer. Er versucht nicht, futuristische Architektur als totalitär anzuklagen. Er feiert sie als Ästhetikum. Und gibt ihr gerade damit ihre utopische Qualität zurück. PS

bis 4. 7., Hamburger Kunstverein