Müssen nur wollen

Bürgerjournalismus (1): Warum man das Schreiben manchmal einfach den Profis überlassen sollte. Anmerkungen über Hobby-AutorInnen aus Anlass des neuen Zeitungsblogs „Readers Edition“

Mitteilungsbedürfnis, Eitelkeit, unendliches Zeitkonto: Voraussetzungen fürs Gratisschreiben

Von JENNI ZYLKA

Ein onkeliger Werbetext über den Bockhorner Oldtimermarkt hätte in der Printausgabe einer überregionalen Tageszeitung keine Chance. Denn die Kriterien, nach denen eine Kulturredaktion ihre Themen aussucht, sind Aktualität, Neuigkeitswert, kultureller Stellenwert und Stil – auch wenn sich tausende „stolze Besitzer betagter Karossen“ ganz aktuell am nächsten Wochenende zum Auspuffschnüffeln in Bockhorn treffen, würde ein für alle stolzen Nichtoldtimerbesitzer strunzlangweiliges Nischenthema wie dieses nicht stattfinden. Dafür kommen zu viele Filme, Bücher, Theaterstücke heraus, dafür diskutiert das Feuilleton zu gerne und zu angestrengt über Zeitgeist, Literatur und Krieg.

Kulturelle Topereignisse wie das in der Friesischen Wehde müssen jedoch nicht mehr im Lokalteil eines Ostfriesenkäseblatts verrotten. Sondern werden einer unübersichtlich großen Leserschaft auf der ganzen Welt gleichberechtigt neben Texten über Migrantenkinder an deutschen Schulen, die Gefahren des Passivrauchens und den Tokioter Yasukuni-Schrein präsentiert. Auf www.readers-edition.de, einem an die Netzeitung angeschlossenen Zeitungsblog in elegantem, tageszeitungsähnlichem Design mit klassischer Ressortaufteilung, werden seit einer Woche Texte gepostet – von LeserInnen, nicht nur von JournalistInnen. Laut Eigenaussage liest eine Gruppe von „Moderatoren“ den eingesandten Artikel, prüft, redigiert und veröffentlicht – sofern der Text dem Pressekodex entspricht.

Bei harten Themen wie dem Streit zwischen dem SZ-Journalisten Hans Leyendecker und dem Autor Erich Schmidt-Eenboom, die sich gegenseitig unheilige Verwicklungen zum BND vorwerfen, sind allerdings Faktenlage und Berichterstattung diffizil: Der Readers-Edition-Autor liefert ein Zitat Schmidt-Eenbooms, in dem er Leyendecker als „Sprachrohr des BND“ bezeichnet – fraglos nachzuweisen ist dieses Zitat nicht, der Autor bezeichnet seinen Text selbst in einem Kommentar als „exklusiv“, sodass die Wahrheitslage schwummerig bleibt.

Während die gestandene Presse den BloggerInnen journalistische Kenntnisse abspricht – und dabei, wenn man Artikel wie den über die „Zeit der Tipprunden“ auf der Readers Edition liest, auch nicht ganz falsch liegt – bezweifeln die BloggerInnen die angebliche Nachrichtenobjektivität der Zeitungsmeute. Dabei sollten Meinungen in der Zeitung klar verteilt sein: auf der Kommentarseite und im Feuilleton, das ohne geschmäcklerische Referenzpunkte kaum beschreiben kann.

Bei der das Bloggen begleitenden Diskussion über „Bürgerjournalismus“, dem von den BefürworterInnen Eigenschaften wie „basisdemokratisch, schnell, volksnah, abwechslungsreich“ zugesprochen werden, scheinen dickköpfige Klugschnacker aufeinander zu prallen: Auf der einen Seite die eingebildeten, streng hierarchisch strukturierten und kritikunverträglichen JournalistInnen, auf der anderen Seite die interessierten, von jeglicher Zensur freien NaturtalentschreiberInnen, die nicht nur jene innovativen politischen Themen aufreißen, die von den konventionellen Medien ignoriert werden, sondern auch noch heiße und aufschlussreiche Diskussionen gleich mitliefern.

Aus dem Unterschied in der beruflichen Herkunft – die einen sollten ihr Handwerk gelernt haben, die anderen müssen nur wollen – folgt ein weiterer, noch viel bezeichnender: JournalistInnen bekommen für ihre Arbeit Geld, mal mehr, mal verschwindend wenig. Im besten Fall macht ihnen ihr Beruf Spaß, im schlimmsten quälen sie sich mit ungeliebten Themen. Die AutorInnen der Readers Edition – und fast sämtlicher anderer Blogs – schreiben aus Leidenschaft, und weil sie gerne ihre Meinung über etwas loswerden möchten. Der Blog gibt ihnen die Chance, gelesen zu werden – Voraussetzungen für den Willen zur unentgeltlichen Veröffentlichung sind, so unsexy es klingt, Mitteilungsbedürfnis, Eitelkeit und ein unendliches Zeitkonto.

Früher scheiterten talentlose wie oft auch talentierte Schreibwütige an den formalen Bedingungen der Verlage – die meisten Zeitungen drucken keine ungefragt eingesandten Texte, die meisten Buchverlage lassen Manuskripte lange liegen, manchmal für immer. Jetzt können sie sich im Netz ausprobieren und austoben. Irgendjemand liest es immer, und irgendjemand findet es immer gut.

Geld gibt es für das Bloggen jedenfalls üblicherweise nicht – Ausnahmen siehe Text links. In einem am Mittwoch geposteten Artikel in der Readers Edition stellt ein Autor jedoch eine englische Agentur vor, die Bloggern die Vermarktung ihrer Artikel an „professionelle Printmedien“ in Aussicht stellen möchte – für 50 Prozent auf die erste veröffentlichte Lizenz und 25 Prozent aller Folgelizenzen. Der Verfasser gibt hierbei sämtliche Rechte ab, nicht mal der Autorenname muss noch genannt werden – ein ultimativer, unverschämt frecher Ideenschnorrerversuch.

Die Readers Edition, die als Netzeitung-Projekt konsequent im Medium Internet arbeitet, hat noch einen langen Weg bis zu einem ernst zu nehmenden Nachrichtenportal vor sich. Zu viele alte News, schlecht geschriebene Schülerzeitungsthemen, zu viel belangloses „Find ich nicht –find ich doch“ in den Kommentaren sind davor. Blogs wie www.bildblog.de, in dem Menschen posten, die nicht nur lesen, sondern auch schreiben können, haben diesen Weg längst und mit Bravour bewältigt. Und ernähren durch Werbung ihre Autoren mittlerweile sogar.