Europa entdeckt seine Meere neu

Das „Grünbuch Meerespolitik“ fordert die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Noch sind das wolkige Worte

HAMBURG taz ■ Die EU-Kommission hat auf den Globus geschaut und eine Entdeckung gemacht: Europa ist eine Halbinsel, angeklatscht an Russland und umgeben von Meeren. Die Grenzen der Europäischen Union bestehen zu zwei Dritteln aus Küsten, die Mitgliedstaaten sind flächenmäßig kleiner als die Hoheitsgewässer. Deshalb müsse nun „eine neue Vision für unseren Umgang mit dem Meer entwickelt werden“, finden EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Fischereikommissar Joe Borg. Ein 55-seitiges „Grünbuch Meerespolitik“, das sie jetzt in Brüssel vorstellten, soll die Grundlage für einen künftig schonenden Umgang mit den Ozeanen bilden.

„Wirtschaftliches Wachstum, sozialen Wohlstand und Umweltschutz“ erklären Barroso und Borg zu den drei „Prioritäten“ bei der Aufgabe, „unsere Beziehungen zum Meer zu verbessern“. Und dafür sei zunächst ein „neuer politischer Ansatz“ erforderlich.

Der Seeverkehr, die maritimen Wirtschaften, der Küstenschutz, die Offshore-Energie, die Fischereiindustrie und der Umweltschutz seien zu lange „getrennt entwickelt“ worden – eine diplomatische Umschreibung für bislang dominierende National- und Lobbyinteressen.

Durchaus selbstkritisch wird in dem Papier auch eingeräumt, dass sich in der EU bisher „niemand berufen fühlte, gegenseitige Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Maßnahmen zu analysieren“. Nicht selten planen die Ressorts nämlich munter aneinander vorbei, nicht selten bezuschusst die EU vor allem Verkehrs- und Industrieprojekte, die sich konterkarieren. Das Resultat sei oftmals null Effekt bei doppeltem finanziellem Einsatz.

Also müssten nun neue Wege für die Konzeption und Umsetzung der Politiken von EU, ihrer Mitgliedstaaten und der zahlreichen Regionalverbünde gefunden werden, fordern Barroso und Borg. Dringlich etwa sei eine Mittelmeer-Konferenz auch unter Einbeziehung der afrikanischen und asiatischen Anrainerstaaten. Als Vorbild empfehlen die Kommissare die Ostsee-Konferenz, in der seit gut zehn Jahren multinational über das Schicksal des Binnenmeeres beraten wird.

Das Grünbuch soll nun „das Startsignal für eine umfassende öffentliche Debatte bilden“, an dem sich in den kommenden zwölf Monaten jeder mit Beiträgen zum Thema beteiligen kann. Bis Ende 2007 soll daraus ein neues Grünbuch mit konkreten Handlungsempfehlungen „für eine ganzheitliche Sicht“ auf all das Wasser rund um Europa entstehen. SVEN-MICHAEL VEIT

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