Verlierer, der zum Mörder wurde

Al-Sarkawis Strategie des Bürgerkrieges galt auch unter den Aufständischen im Irak als höchst umstritten. Deswegen distanzierte sich die Geistlichkeit. Zum Schluss hatte der Terrorist nicht mehr viele Anhänger

BERLIN taz ■ Er galt als das Gesicht des Terrors: der 39-jährige Abu Mussab al-Sarkawi. Keiner sollte ihn an Grausamkeiten überbieten. Dazu soll er vor zwei Jahren eigenhändig die US-Geisel Nicholas Berg vor laufender Kamera enthauptet haben. Und keiner sollte an der Reinheit seines Glaubens zweifeln. Deshalb rief er – der Sunnit – nicht nur zum Kampf gegen die US-geführte Besatzungsmacht, sondern auch zum Bürgerkrieg gegen Iraks „ungläubige“ schiitische Mehrheit auf. Tausende fielen den Anschlägen auf die Besatzungstruppen und die irakischen Sicherheitskräfte, auf Moscheen und Märkten zum Opfer.

Bis zuletzt stritten die Experten, welche Motive den Mann antrieben, auf den ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar ausgesetzt war. Jean-Charles Brisard, Autor einer umfassenden Sarkawi-Biografie, attestierte dem gebürtigen Jordanier einen tief sitzenden Minderwertigkeitskomplex. Andere sahen in Sarkawi eher Ahmad, den Verlierer, das Opfer einer Moderne, die auch in der arabischen Welt Einzug nahm. Ahmad Fazzil Nazzal al-Khaleileh – das ist auch der Geburtsname Sarkawis, der am 30. Oktober 1966 im jordanischen Sarka geboren wird und der 23 Jahre später im Frühjahr 1989 nach Afghanistan geht, als die sowjetischen Truppen bereits den Abzug eingeläutet haben.

Sarkawi wächst in Armut auf, hat sieben Schwestern und zwei Brüder. Sein Vater ist traditioneller Heiler, die Mutter leidet an Leukämie. Mit 17 Jahren verlässt Sarkawi die Schule und beginnt nach Angaben von Bekannten stark zu trinken. Er träumt von der See und lässt sich einen Anker auf den Arm tätowieren, den er sich später nach Angaben eines Gefängnisarztes wieder selbst herausbrennt.

Die Schwester, die in Amman theologische Studien betreibt und sich in islamistischen Zirkeln bewegt, soll Sarkawi an die Religion herangeführt haben. Anfang der Neunzigerjahre will Sarkawi mit einer Reihe von Anschlägen die jordanische Monarchie stürzen. 1996 wird er wegen Waffenbesitzes zu 15 Jahren Haft verurteilt, drei Jahre später jedoch im Rahmen einer Amnestie vom dem frisch gekrönten König Abdullah begnadigt. In der Haft trifft er auf seinen ideologischen Mentor, den Prediger Abu Mohammed al-Makdissi. Sarkawi begeistert sich für den radikalen Islam.

Im Juni 2000 überquert Sarkawi die Grenze nach Afghanistan und trifft al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden, schließt sich aber dessen Netzwerk zunächst nicht an, da Bin Laden zu jenem Zeitpunkt nicht bereit ist, das saudische Königshaus als gottlos zu verurteilen. Stattdessen gründet er ein eigenes Lager in Herat. Dort nimmt er auch den Namen al-Sarkawi (der aus Sarka) an. Ende 2001 wird er im Kampf gegen die US-Truppen in Afghanistan nach Zeitungsberichten schwer verletzt. Nach dem Sturz der Taliban gelangt er über Umwege in den Irak und wird dort nach dem US-geführten Einmarsch im März 2003 Bin Ladens Statthalter.

Unter den irakischen Aufständischen ist Sarkawis Strategie, unschuldige Zivilisten zu töten und so einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören, höchst umstritten. Ende Januar dieses Jahres rufen ranghohe sunnitische Geistliche nicht nur dazu auf, Sarkawi nicht mehr zu unterstützen; er soll sogar ins Ausland vertrieben werden. Kurz zuvor verkündet ein „Oberkommando des Widerstands im Irak“, Sarkawi werde Anfang des Jahres auf sein „politisches Amt“ verzichten und sich auf das Militärische beschränken. Sarkawi werden „mehrere Fehler“ vorgeworfen, durch die ein „negatives Bild des Widerstands“ entstanden sei. Sarkawi habe sich angemaßt, „im Namen des irakischen Volkes und seines Widerstandes zu sprechen“. Bedingungslose Gefolgsleute hatte Sarkawi am Ende nicht mehr. WOLFGANG GAST