Vorbereitung auf das Übermorgen

Mahmud Ahmadinedschad bestimmt nicht nur die Politik seine Landes. Seine antisemitische Polemik beherrscht mittlerweile auch die traditionellen Horte der intellektuellen Opposition im Iran

VON ALI SADRZADEH

Ein merkwürdiges, ein beschämendes Schweigen. Am 17. Juni, dem einstigen Tag der Deutschen Einheit, wollen die „Nationalen Sozialisten“ die iranischen Fußballer begrüßen, vier Tage später beim Spiel Iran gegen Angola in Leipzig will die NPD Sachsen beweisen, dass die Welt bei richtigen Freunden zu Gast ist.

Und was machen die Deutschiraner, die gemeinhin als so überaus gut integriert gelten? Deutschland debattiert über Rechtsextremismus, über den inzwischen 20 Jahre alten Historikerstreit und über das Phänomen „Ahmadinedschad“. Und was hört man von den Iranern in Deutschland, unter denen viele Akademiker sind? Nichts.

Zumindest die Sozialwissenschaftler und Politologen unter ihnen hätten sich aus beruflichen Gründen längst melden und äußern können, was sie über die angekündigte NPD-Demo zum Iran-Spiel bei der WM und Ahmadinedschad denken und tun wollen. Selbst jene inzwischen in die Jahre gekommenen Iraner, die sich zum konstitutiven Bestandteil der 68er-Generation zählen, selbst diese einstigen Antifaschisten schweigen.

Oder sind diese ach so blendend Integrierten doch trotz des deutschen Passes in der Tasche keine deutschen Bürger? Oder ist Dipl.-Ing. Mohammad Ramin ihr wahrer Vertreter, der 20 Jahre lang in Deutschland lebte, hier Maschinenbau studierte und nun in Teheran für Ahmadinedschad eine Holocaust-Konferenz organisiert? Aber verlassen wir Deutschland und seine „bestintegrierten“ Iraner und schauen uns den iranischen „Schoß“ an, der fruchtbar und fürchterlich zugleich ist.

Ein Buchladen in Isfahan im Mai 2006: Handelt es sich hier um einen Debattierclub? Einen politischen Treffpunkt, wie die mittlerweile berühmte Karl-Marx-Buchhandlung in der Frankfurter Jordanstraße, wo einst Joschka Fischer Bildung, Broterwerb und Basisarbeit perfekt miteinander vereinte? Eine schwierige Frage. Die drei jungen Männer, die sich um den Ladentisch mitten im Raum versammelt haben, sind jedenfalls keine Kunden. Sie sitzen schon länger da, das zeigt der Geräuschpegel ihres Gesprächs, denn sie unterhalten sich vertrauensvoll und leiser als sonst im Lande üblich. Ohne Zweifel – das zeigt ihre Kleidung, Mimik und Sprache – gehören sie dem akademischen Milieu von Isfahan an, der alten und ehrwürdigen Stadt der Islamischen Republik, einer Millionenmetropole, die vom Tourismus – amerikanische Friedensmissionare inbegriffen – zu profitieren versucht. Keine Zugewanderten, sondern echte und stolze Isfahaner. Denn ein wahres Kind dieser Stadt würde nie den neureichen Slang der Teheraner nachahmen, jeder soll die ironisch, listig klingende Melodie des Isfahaner Dialekts hören, auch wenn er Französisch, Englisch oder Deutsch spricht.

Isfahan, die Stadt der Urananreichungsanlage und der schönsten Moscheen der Islamischen Republik, städtisch und konservativ, modern und traditionsbewusst, Isfahan, „die halbe Welt“, so reimt es sich im Persischen. Ein etwas übertriebenes Selbstbewusstsein. In dieser Stadt ist es oft schwierig, auf den ersten Blick zu begreifen, wen man vor sich hat. Alles ist möglich, auch in dieser teuren Gegend nahe Siosepol, der berühmten historischen Brücke von Isfahan, selbst in diesem Raum, der allem Anschein nach ein Buchladen ist.

Vielleicht hilft das Plakat, das raumgreifend am Eingang zu sehen ist, oder, noch besser, der Spruch darunter: „Meine Zeit wird kommen, übermorgen wird sie sein.“ Gestern ist längst vorüber, auch der Morgen neigt sich bereits dem Ende zu. Und so, wie der gemütliche Mann auf dem Plakat prophezeit, befindet sich die Welt oder zumindest der iranische Kosmos an der Schwelle zum Übermorgen.

Der alte Mann, der dies verkündet, sieht erschöpft, freundlich und weit gereist aus, ähnlich wie der schwitzende Mann von der Tuborg-Reklame. Dieses Foto mit dem dazugehörigen Satz ist für diesen futuristisch eingerichteten Buchladen Programm und Politik, Glaube und Auftrag zugleich. Übersehen kann man das Bild eigentlich nicht, und der Name des „Ostad“, also des Meisters bzw. Gurus, ist, kalligrafisch signiert, sehr gut lesbar: Ahmad Fardid. Doch es gibt Kunden, die kapieren nichts, Ignoranten eben. Entweder sehen sie das Foto des großen Ostad nicht, oder – schlimmer noch – sie sehen es, aber kennen ihn nicht, oder sie haben den Namen Fardid noch nie gehört. Er ist aber DER Philosoph, der unter den iranischen Intellektuellen im In- und Ausland momentan für Furore sorgt. Die Laufkundschaft schlendert, als wähnte sie sich in einem ganz normalen Buchladen, blättert einige Bücher durch. Diese Kunden stellen kaum eine Frage und gehen gelangweilt wieder hinaus. Doch hier und da gibt es auch aufmerksame und neugierige Besucher, und um die kümmert sich der Ladenbesitzer persönlich.

Etwa vierzig Jahre alt ist er, mit seiner Nickelbrille, seiner Baskenmütze und dem ständigen Lächeln auf den Lippen hat er nichts gemein mit einem normalen persischen Ladenbesitzer. Die Aura eines modernen Intellektuellen ist unübersehbar. Leistet er hier Basisarbeit wie einst die Linken in den alternativen Cafés und Buchläden der Sechziger- und Siebzigerjahre?

Geduldig, redegewandt und sachkundig fragt er nach den Interessengebieten des Kunden. Er selbst interessiere sich für Philosophie und vor allem für Heidegger, sagt er. „Und welchen Philosophen bevorzugen Sie?“, fragt er mich. Ich suche keine philosophischen Werke, eher Kriminalromane und da möglichst iranische. Sofort begreift er, wen er vor sich hat. Einen, der die alte Heimat besucht. „Ach, Sie wohnen im Ausland. Und wo, wenn ich fragen darf?“ – „In Frankfurt.“ – „Also der Stadt der Juden?“ – „Es gibt aber nicht mehr viele Juden in Frankfurt. Wenn überhaupt, dann hauptsächlich Übersiedler aus der ehemaligen Sowjetunion.“ – „Aber die Köpfe der Stadt waren doch alle Juden. Wie zum Beispiel Adorno und seine Umgebung, auch heute geben Leute wie Cohn-Bendit und Anhänger von Gysi dort den Ton an.“

Es wird langsam bizarr. Hier in der alten persischen Stadt Isfahan bahnt sich allmählich ein ähnlich heftiger Disput an, als stünde man einem NPD-Funktionär in einer ostdeutschen Kleinstadt gegenüber. Offenbar haben bei solchen Diskussionen Zeit und Raum keine besondere Bedeutung mehr. Globalisierte Faschismusdebatte, sozusagen. Denn die üblichen, bekannten Schlagworte tauchen automatisch und unvermeidlich auf: die übertriebenen Schuldgefühle der Deutschen, die jüdischen Lobbys, die das geistige Klima so perfekt beherrschten, dass sogar die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich genötigt sehe, den iranischen Staatspräsidenten mit Hitler zu vergleichen. Das Verbot einer „echten“ Holocaust-Forschung usw. und so fort. Der Versuch, auf diese Mischung von Halbwissen, Dummheit und Borniertheit passend zu antworten und zugleich die Ruhe zu bewahren, muss scheitern, denn die geistigen Schubladen sind gefüllt, die Schablonen zahlreich und immer parat. Demagogische Dialoge eben.

Die Atmosphäre beginnt aggressiv zu werden, schließlich wird es ungemütlich, ja gefährlich. Es ist Zeit, zu verschwinden. Im Nachbargeschäft, einem Souvenirladen, in den sich manchmal auch Touristen verirren, erfährt man noch mehr und noch Absurderes über den Buchladen und seinen Besitzer, einen besonderen Biografiebruch persischer Art. Sein Großvater sei ein stadtbekannter jüdischer Kaufmann gewesen, der verstorbene Vater war zum Islam übergetreten und er selbst nenne sich Philosoph und übersetze Bücher aus dem Hebräischen und Französischen. Der Laden habe nicht viele Kunden, aber ihm gehe es sehr gut, wer weiß, woher das Geld komme. Das sei kein Geschäft, da versammeln sich merkwürdige Leute und es müsse mit dem Foto von diesem Mann zu tun haben, das über der Ladenkasse hängt. „Wie heißt er gleich noch?“

Erst jetzt dämmert es einem. Hier trifft sich eine kleine Gruppe des akademischen Nachwuchses, auf den die neue Klasse um Ahmadinedeschad baut. Das iranische Machtlabyrinth, ein Clan aus Geheimdienst- und Militärfunktionären mit weit verzweigten familiären Banden, hat hier, in diesem Buchladen in der Nähe der wichtigsten Touristenattraktion der Stadt, eine kleine, aber aktive Basiszelle. Hier vertieft man sich in Ahmadinedschads tägliche Tiraden gegen Israel und die Juden und diskutiert sie als wissenschaftlich begründete, philosophisch untermauerte und politisch mutige Ansichten. Jetzt gewinnt das alles beherrschende Bild des Großmeisters Fardid über der Ladenkasse an Kontur. Man begreift, dass es langsam tatsächlich „Übermorgen“ wird. Fardid war nach eigenem Bekunden ein Antisemit oder, besser gesagt, ein notorischer Judenhasser, er hielt sich für den größten Heidegger-Interpreten Irans. Heidegger will er in den Vierzigerjahren persönlich getroffen haben, in Frankreich verkehrte er im universitären Milieu der Nachkriegszeit. Welchen akademischen Titel er eigentlich erlangte, ist nicht bekannt. Trotzdem schaffte er es, Universitätsdozent zu werden.

Fardid ist längst tot, seit 15 Jahren. In seiner 30-jährigen Professorentätigkeit an der Uni Teheran hat er jedoch eine ganze Generation iranischer Philosophen und Intellektuellen beeinflusst. Seit dem Amtsantritt Ahmadinedschads scheint der Professor wiederauferstanden zu sein, er ist für seine Anhänger ebenso wie für seine Gegner mehr denn je aktuell. Denn Ahmadinedschad verehrt ihn ebenso wie Ali Laridschani, der iranische Unterhändler in der Atomfrage. Kabinettsmitglieder, einflussreiche Revolutionsgardisten und selbst Mullahs aus der heiligen Stadt Qom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit, gehörten zu Fardids gelehrigen Schülern. Alle Funktionäre um Ahmadinedschad, die heute in Fragen der Kultur und Propaganda etwas zu sagen haben, sind mit Fardids Gedankenwelt sehr vertraut. Nach seinen einfältigen und stammtischreifen Ideen werden im heutigen Iran Filme produziert, Schulbücher geschrieben, Vorlesungen gehalten, Holocaust-Konferenzen abgehalten oder die aktuellen Weltprobleme analysiert – das iranische Atomprogramm eingeschlossen.

Diese simple Denkungsart, für die in unterschiedlichen Formen geworben wird, besagt: Es gibt nur zwei Arten von Weltsicht, die den Gang der menschlichen Geschichte letztlich bestimmen: die jüdische und die nichtjüdische. Erstere hatten etwa Spinoza, Marx, Adorno, Freud oder Max Weber. Und unabhängig davon, was sie und wann sie etwas gesagt haben, wurzeln ihre Ideen ausschließlich im Judentum. Deshalb liege der eigentliche Grund für alle sozialen und politischen Katastrophen dieser Erde in diesen Ideen. Der schlimmste von ihnen sei der Jude Karl Popper gewesen, gegen den im akademischen Betrieb Irans in diesen Tagen am meisten geredet und geschrieben wird, denn mit Poppers Theorien gingen die Anhänger des westlichen Liberalismus hausieren, so lehrte und agitierte Meister Fardid [siehe Randspalte; Anm. der Red.]. „Der westliche Liberalismus als zionistisches Projekt“ lautete der Titel einer seiner Ringvorlesungen.

Was Ahmadinedschad und seine „Kulturarbeiter“ von dem toten Professor gelernt haben, ist kein Faschismus im klassischen Sinne mit rassistischen Zutaten. Es ist Obskurantismus pur , denn Ahmadinedschad wartet auf den Messias, auf den Mahdi, den zwölften Imam der Schiiten, der seit dem Jahr 941 im Verborgenen lebt. Nur mit seinem Wiedererscheinen werde die Gerechtigkeit auf die Erde zurückkehren. Vorher komme Armageddon, dann die totale Gerechtigkeit, oder eben das „Übermorgen“, um mit dem toten Professor Fardid zu sprechen.

Und was die jetzige Welt angehe, so müssten ihre Führer echte Gläubige werden, da müsse jemand wie George W. Bush zumindest von seinem eigenen Messias überzeugt sein. Doch der amerikanische Präsident, ja der gesamte Westen sei Poppers jüdischer Weltsicht verfallen. Mit solchen Versatzstücken aus der Hinterlassenschaft des antisemitischen Professors können junge Karrieristen oder Gläubige in der Islamischen Republik Positionen ergattern.

So wie Ahmadinedschad es ihnen vormachte. Hat er es nicht so weit gebracht, dass er sich traut, in einem Brief den mächtigsten Mann der Welt zur Umkehr aufzufordern, so wie einst der Prophet, der an alle Führer der damaligen Zeit schrieb? Manche iranische Zeitungen wollen nicht ganz so weit gehen, sie ziehen augenzwinkernd Parallelen zu dem legendären Brief Chomeinis an Gorbatschow am Vorabend des Zusammenbruchs der Sowjetunion, als der greise Ajatollah den schwächelnden Glasnost-Politiker vor dem kapitalistischen Weg warnte und ihn aufforderte, sich besser Gott zuzuwenden.

Das Schlimme ist, dass er und seinesgleichen inzwischen an die eigene Propaganda glauben. Deshalb werden im heutigen Iran alle Mittel des Landes, alle offiziellen Medien, die Freitagsgebete und sogar die Schulbücher und Univorlesungen genutzt, um diese absurde Idee allen Schichten der iranischen Bevölkerung glaubhaft zu machen. Koste es, was es wolle, die Zerstörung Irans inbegriffen. Kein Wunder, wenn das Säbelrassen zwischen Teheran und Tel Aviv manchmal beängstigende Ausmaße annimmt. Wie sonst soll man den Friedensnobelpreisträger Schimon Peres verstehen, wenn er sagt: „Wenn Ahmadinedschad glaubt, Israel zerstören zu müssen, sollte er wissen, dass dann auch der Iran mit Sicherheit vernichtet wird.“ Nur psychologische Kriegführung, der über kurz oder lang ein heißer Krieg folgen kann, aber nicht muss? Wie ernst nimmt eigentlich Israel Ahmadinedschads Ausbrüche?

Eine ernste Frage, die wahrscheinlich über das Leben von Millionen Menschen entscheiden wird. Denn der Konflikt mit Israel sei ein Spiel mit dem Feuer, warnen sehr leise und kaum vernehmbare Stimmen in manchen journalistischen Nischen Irans. Sollte sich die Krise in dem jetzigen Tempo fortsetzen, werden bald auch diese Stimmen verstummen müssen. Schon jetzt dürfen die iranischen Journalisten nur das über das Atomprogramm schreiben, was der nationale Sicherheitsrat des Landes freigibt.

Dem Land drohe eine totale Gleichschaltung, im Falle einer Zuspitzung der Krise werde alles bis hin zu Kleidung, Haartracht und Benehmen in der Öffentlichkeit als defätistisch und fatalistisch ausgelegt, fürchtet der Universitätsprofessor Dr. Ziba Kalam. Er muss es wissen. Zib Kalam gehört seit dem Amtsantritt des Neuen praktisch zu einer aussterbenden Gattung. Der Absolvent einer englischen Hochschule darf, dank seiner klaren Sprache, seiner moderaten Ansichten und nicht zuletzt dank seiner Verbindung zu Rafsandschani, der grauen Eminenz der islamischen Republik, noch seinen Unijob behalten. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Denn die Säuberungswelle im akademischen Betrieb läuft inzwischen planmäßig.

Ob so einer wie Zibal Kalam im nächsten Jahr noch Uniprofessor sein wird, ist fraglich. Die Universität Teheran hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Mullah als Präsidenten. Auf dem Campus, also dort, wo alle wichtigen und dramatischen Umwälzungen im Iran der letzten 60 Jahre stattfanden, herrscht in diesen Tagen eine Atmosphäre der Einschüchterung und Gleichgültigkeit. Die Kontrolle der Studenten ist komplett.

Ahmadinedschad ist ein Meister des Auswechselns. Das geistige Klima an den Universitäten wird von den gelehrigen oder auch opportunistischen Schülern Fardids beherrscht. Der Staatsapparat wurde in einem solchen Eiltempo und so gründlich gesäubert, dass es selbst für iranische Verhältnisse überraschend war. Alle Schlüsselpositionen in den Ministerien sind mit Vertrauten und überzeugten Mitläufern besetzt, alle Provinzgouverneure kommen wie der Präsident selbst aus den Revolutionsgarden oder dem Geheimdienst, und fast alle iranischen Missionen im Ausland haben ein neues Personal. In den Amtsstuben darf zwar kein Präsidentenfoto hängen, so hat es Ahmadinedschad selbst verfügt, doch bis zur untersten Ebene der Administration trifft man entweder noch aktive oder ehemalige Revolutionsgardisten oder Kommandeure der paramilitärischen Truppen Basidsch.

Der riesige Staatsapparat, der manchmal auch mit neuester Technik ausgestattet ist, verfügt über eine gewaltige Substanz an materiellen, finanziellen und ideologischen Möglichkeiten. Ahmadinedschad bildet sich tatsächlich ein, diesen Staat für seine Visionen voll einsetzen zu können, also: wenn es sein muss, für den Kampf gegen Israel. Und da er vorsätzlich und kontinuierlich Öl ins Feuer gießt, muss man fragen, wie weit er gehen will.

Die Hasstiraden aus dem Munde Ahmadinedschads seien nichts als ein propagandistischer Feldzug zur Eroberung der arabischen Straße und wahrscheinlich zugleich ein Manöver, um von den fast unlösbaren Problemen Irans abzulenken, die zu lösen er ja versprochen hatte. Außerdem stehe die Mehrheit der Iraner, unabhängig davon, was sie über den Präsidenten denken, hinter dem Atomprogramm des Landes – so oder so ähnlich ist der Tenor aller Kommentare, die man in westlichen Zeitungen über den Iran und seinen Präsidenten liest. Als dürften die Iraner tatsächlich ihre Meinung äußern.

Der Mann, der bis vor einem Jahr selbst der iranischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war, scheint inzwischen viel erreicht zu haben. Er formuliert eine Politik, die gelesen, bewertet und manchmal sogar von der westlichen Presse ernst genommen wird. Bei seinen Rundreisen durch die iranischen Provinzen, auf den Marktplätzen und vor den Studenten, im Fernsehen und bei seinen offiziellen Auftritten, in den Hauptstädten dieser Welt, die er noch besuchen darf, überall bleibt sich der Städteplaner Ahmadinedschad treu, bei jeder Ansprache baut er seine Thesen über das Palästinaproblem Stück für Stück wie ein Gebäude auf. Voller Demagogie oder, wenn nötig, mit revolutionärem Pathos. Auf den Dorfplätzen populistisch, in den Unihörsälen professoral, immer dem Ort und den Zuhörern entsprechend und in angemessener Sprache. Alle Unruhen der letzten 60 Jahre im Nahen Osten, alle Kriege und Umstürze, die diese Region erschütterten – die persische Tragödie eingeschlossen – hätten nur eine einzige Quelle: Israel.

Dem amerikanischen Präsidenten schreibt er: „Vielleicht wissen Sie, dass ich Lehrer bin. […] Meine Studenten zeigen mir oft alte Landkarten des Nahen Ostens vor 60 Jahren und suchen vergeblich nach einem Land Namens Israel. Hier gebe es doch kein Land dieses Namens, sagen sie mir. Ich sage ihnen, studiert die Geschichte der beiden Weltkriege. Aber Recht haben diese Studenten. Die jungen Iraner, Akademiker wie Normalbürger, fragen sich oft: Angenommen, die Zahl der getöteten Juden wäre so hoch wie behauptet, warum müsste aber dafür gerade ein islamisches Land mitten in dieser Region besetzt werden? Eine sehr berechtigte Frage, meinen Sie nicht auch? […] Im Lauf der Geschichte und der Kriege wurden zwar viele Länder besetzt, die Ausrufung eines neuen Staates ist jedoch ein neues Phänomen, eines, das nur in unsrer Zeit stattfindet.“

Doch Ahmadinedschad, der hier als Lehrer auch George W. Bush Geschichtsunterricht erteilt und zugleich mit dem mächtigsten Mann der Welt auf gleicher Augenhöhe reden möchte, fragt seine Studenten nicht, ob auf der alten Landkarte Ländernamen wie Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien oder Pakistan zu finden sind, um nur Irans Nachbarstaaten zu nennen.

Was den Iran selbst angeht, so gibt es ihn zwar seit fast 2.500 Jahren, von diesem Land will aber der Demagoge ein ganz neues, vollkommen antiisraelisches, ja antisemitisches Bild präsentieren. Und das ist eine Ironie der Geschichte. Ein Land, dessen Herrscher Cyrus einst das jüdische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreite und in Jerusalem für das Volk Israel ein Gotteshaus baute. Das hört sich in diesen aufgeregten Zeiten unglaublich an, ist aber dokumentiert im Buch der Bücher, und für die irdischen Geschichtsschreiber hat diese Begebenheit sogar einen realen Hintergrund. Auch Ahmadinedschad hält wie alle Muslime die Bibel für ein heiliges Buch und sogar für das Wort Gottes.

Im Buch Esra heißt es: „Der Herr erweckte den Geist des Cyrus, des Königs von Persien, dass er in seinem ganzen Königreich mündlich und auch schriftlich verkünden ließ: Der Herr hat mir befohlen, ihm ein Haus zu Jerusalem in Judäa zu bauen. Wer nun unter euch von seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem in Judäa und baue das Haus des Herrn, des Gottes Israels; das ist der Gott, der zu Jerusalem ist.“

Deshalb hat es für die Juden immer zwei Iran gegeben: das Land von Cyrus und das von Chomeini, der schon in den ersten Tagen seiner Herrschaft den Namen Israels aus den offiziellen Dokumenten des Landes tilgen ließ. Seitdem wurde die Gegend offiziell nur noch „zionistisches Okkupationsregime“ genannt.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es diese zwei Gesichter des Iran: Iran war das erste islamische Land, das Israel praktisch anerkannte, und der erste israelische Gesandte in Teheran sagte einmal, kein Israeli werde je die Hilfe der iranischen Bevölkerung bei der Rettung der aus dem Irak geflohenen Juden vergessen.

Doch Ahmadinedschad hat es weit gebracht, die Welt glaubt inzwischen, in jedem Iraner einen Judenhasser entdecken zu können. Denn von anderen Iranern hört die Welt ja wenig.

ALI SADRZADEH wurde 1945 im Süden Irans geboren und lebt seit 36 Jahren in Deutschland. Er ist Redakteur beim Hessischen Rundfunk. Der Text entstand während einer vierwöchigen Reise durch den Iran, von der er gerade zurückgekehrt ist