Zu Gast in Bruckhausen

Theaterregie statt Sozialarbeit. Mitten in einem Duisburger Problem-Stadtteil findet ein Europäisches Jugendtheaterfestival statt. Die britische Gruppe zeigt im Bunker ein Stück über Asylbewerber

VON PETER ORTMANN

Bruckhausen ist eigentlich ein Kral – eingezwängt zwischen ein Autobahndreieck und ein Stahlwerk, dessen monströser Schatten in jeden Winkel reicht. Der Duisburger Stadtteil hat den höchsten Migrantenanteil der Stadt. Problemzone im Ruhrgebiet, ständige Gewalt unter Jugendlichen. Entkommen ist schwer. „Die kommen hier nicht mal nach Beeck“, sagt Moritz Pankok, Bühnenbildner und Theater-Regisseur. Und Beeck liegt nur ein paar Schritte entfernt – hinter dem Ruhr-Highway.

Mitten drin in Bruckhausen steht noch ein alter Bunker. Inzwischen schick renoviert, mit sauberem Kinderspielplatz. Treffpunkt der Hiphopper und ein Stadtteil-Theater. Hier trifft sich seit drei Jahren das multikulturelle Junge Theater Bruckhausen. „In diesem Stadtteil kann es nur ein Ensemble aus unterschiedlicher nationaler Herkunft geben“, sagt Stefan Schroer, Projektleiter des „Europäischen Jugentheaterfestival“, dass ab Sonntag hier stattfindet.

Das Junge Theater Bruckhausen zeigt zu Beginn seine neue Premiere: „Das Schloss“ – sehr frei nach Kafka. Von ihm ist immerhin ein einziger Satz im Original erhalten, „Die Jugendlichen haben Kafka souverän ignoriert“. Dafür viel Gas auf der Bühne gegeben. Irgendwie sei so etwas wie von der Berliner Volksbühne entstanden. Schroer grinst. Montag folge gleich eine weitere Premiere, sagt er: „Flüchtlingsgespräche“, ein Theater-Radio-Projekt mit in Duisburg lebenden MigrantInnen aus Afghanistan, Eritrea, Iran, Rumänien, Russland und der Ukraine. Dann folgen Gastspiele befreundeter Theater aus Polen und England und das außergewöhnliche Stück „Neden Anne“ des türkischen Mädchen-Ensembles Icklack-Theater aus Düsseldorf. In der Festivalwoche finden täglich gemeinsame Workshops mit den beteiligten Theatern statt. Den Abschluss macht eine Wiederaufnahme der „Aktion Schwarzer Vogel“ – ein Theater-HipHop-Projekt.

„Grundsätzlich haben die Jugendlichen hier keine Chance“, sagt Schroer, der das Theater vor drei Jahren mitgegründet hat. Sie müssten „Bruckhausen erleiden“, wären dennoch unheimlich begabt. Allerdings mache das Theater hier im Stadtteil keine Sozialarbeit, alle seinen Künstler, die Jugendliche von sich selbst heraus auf die Bühne brächten. Keine Mädchen, das habe der Imam von der Moschee nebenan nämlich verboten. „Die Jungs erzählen ihre eigenen Geschichten“, sagt Moritz Pankok und lacht Deniz Aydogan zu, der gerade gekommen ist. Deniz spielt im „Schloß“ mit, ist natürlich HipHopper und kann den einzigen Satz von Kafka natürlich fließend – na ja fast, ist ja auch noch ein paar Tage bis zur Premiere.

Im letzten Jahr waren alle zusammen in Newcastle. Paradiesische Zustände herrschten in der britischen Hafenstadt. Dort würde viel Geld in Sozio-Kultur gesteckt. Die Jugendgruppen bekämen für ein paar Millionen Pfund sogar ein eigenes Theater. Das „Live Theatre“ kommt nun mit dem Stück „Yom Hashoa“ in den ehemaligen Weltkriegs-Bunker. Das Stück, das mit Newcastler Schriftsteller erarbeitet wurde, ist ein dramatisches Gedicht, das die Situation von Asylbewerbern mit den Erfahrungen des Holocaust in Verbindung setzt.

Auch in Polen sind Stefan Schroer und Moritz Pankok mit den Bruckhausener Jugendlichen gewesen. Haben dort mit dem Brama-Theater gearbeitet. Die kommen gleich mit 18 Schauspieler auf Gegenbesuch und bringen ihre in Polen mehrfach preisgekrönte Performance „Nichts mehr“ mit, erzählen die beiden jungen Theatermacher, die voller Pläne stecken. Aber nun müssen sie noch das 200 Quadratmeter Zirkuszelt aufbauen, in dem die gemeinsamen Workshops stattfinden – und das stammt aus der Konkursmasse des Roma-Theaters Pralipe. Aber das ist eine andere Geschichte.

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