„Damit können wir Furore machen“

Umbau oder Abbau? Das Bremer Theater soll umgekrempelt werden. Das Modell des designierten Generalintendanten Hans-Joachim Frey: mehr Gäste, Volontäre, internationale Koproduktionen und Vermietungen, weniger Spielplanwechsel. Nicht zu vergessen: zusätzliches privates Kapital und EU-Mittel

1995 hat ihn Klaus Pierwoß als Chefdisponent ins Bremer Theater geholt, jetzt beerbt er seinen früheren Chef: Hans-Joachim Frey, gelernter Sänger, Opernregisseur und Kulturmanager, steht ab Sommer 2007 als Generalintendant am Goetheplatz unter Vertrag. Derzeit ist der 41-Jährige Direktor der Dresdner Semperoper.

taz: Sie haben bereits zwei Jahre in Bremen gearbeitet. Fühlen Sie sich schon wieder ein bisschen heimisch?

Hans-Joachim Frey: Es gibt einzelne vertraute Gesichter, aber insgesamt hat sich im Theater sehr viel verändert. Vor allem die sehr gute Renovierung fällt auf.

Und das künstlerische Profil?

Was hier läuft, ist erstmal sehr gut. Ein Stück Bremer Dramaturgie haben wir ja auch nach Dresden gebracht, etwa in Gestalt der Regisseure Philipp Himmelmann, Konstanze Lauterbach oder David Mouchtar-Samorai.

Was soll sich ändern?

Wir brauchen auch neue Regiehandschriften. Auf der Brecht‘schen Schiene, die uns jahrelang geprägt hat, wurden Stücke oft einseitig radikalisiert. Jetzt geht es darum, in einem narrativeren Theater neue Lebensstories und Motive zu zeigen – auch mit aktuellen ästhetischen Möglichkeiten wie Film und Video.

Ist der Einsatz von Leinwänden auf der Bühne etwas Neues?

Wenn ein Opernregisseur einen Videoclip mit einem Popstar gedreht hat, dann kommt durch diese Erfahrung eine neue ästhetische Handschrift in die Inszenierung – und das kann innovativ sein.

Apropos innovativ: Sie wollen das Haus „Internationales Kulturforum“ nennen. Warum langt es nicht, wenn ein Theater „Theater“ heißt?

Ich möchte alle möglichen Gruppierungen einbinden, deswegen die Dachmarke „Internationales Kulturforum“. Das Haus soll ein Ort der Begegnung sein, um das sich ein festes Netzwerk bildet. Wenn sich Leute einmieten, die sonst in‘s Kongresszentrum gehen, können wir ihnen auch ein bisschen Kultur vorsetzen – und nach dem vierten Mal werden sie vielleicht zu Theatergängern. Ein anderes Beispiel: Unsere riesigen Foyers sind den ganzen Tag frei, die könnten von den Mitgliedern des Forums genutzt werden.

Das klingt ein bisschen nach geschlossenem Club.

Warum nicht? Aber de facto schließe ich ja niemanden aus, sondern öffne Räume, die sonst leer stehen. Langfristig kann aus dem Forum ein Verein mit vielleicht 250 Mitgliedern entstehen, der dem Theater auch finanziell hilft.

Soll daraus perspektivisch eine neue Trägerschaft werden?

Nein, aber eine Unterstützung. Die öffentliche Hand hat immer weniger Geld und nur mit Sponsoren ist es auch unsicher: Mal zahlen sie, mal nicht. Eine weitere Idee ist die Verknüpfung jeder Spielzeit mit zwei Ländern. Dadurch könnten eventuell auch EU-Mittel akquiriert werden.

Der Umgang der Stadt mit seinem Theater hat im Herbst bundesweit Wellen geschlagen. Haben Ihnen viele abgeraten, nach Bremen zu gehen?

In der Tat werde ich darauf sehr oft angesprochen. Die Debatte um das Theater hat sowohl dem Haus als auch der Stadt nachhaltig geschadet. Unsere große Chance liegt jetzt darin, aus der Krise heraus etwas Neues zu entwickeln. Ein Theater, dessen Etat zu 92 Prozent aus festen Personalkosten besteht, ist nicht zukunftsfähig. Wenn wir es schaffen, da flexibler zu werden, kann das ein Modell für Deutschland sein – damit können wir Furore machen.

Sie wollen zum Beispiel statt eines durchgängigen Repertoire-Betriebs „Semi-Staggione“ spielen, also nur wenige Stücke zur gleichen Zeit. Ist das nicht der Abschied von einem großstädtischen Kulturprofil?

Nein. Wir machen insgesamt ja nicht weniger Premieren pro Spielzeit. Aber wenn man die Bühnenbilder jedes Mal neu aufbaut und anschließend wieder in den Fundus bringen muss, kostet das viel Geld. Ich will eine geballtere Präsenz der Stücke. Dadurch haben wir auch bessere Möglichkeiten, Gäste zu engagieren.

Andererseits ist die Bindung des Publikums an „seine“ SchauspielerInnen für ein Stadttheater wesentlich.

Die Ensembles bleiben ja auch. Hinzu kommt ein Pool von regelmäßigen Gästen. Darüber hinaus möchte ich ein Opernstudio mit jungen Sängern gründen, die sozusagen als Volontäre bei uns Erfahrung sammeln können.

Sie haben im Haus mittlerweile zahlreiche Einzelgespräche geführt. Wie viele der derzeitigen künstlerischen MitarbeiterInnen wollen Sie übernehmen?

Vieles ist bis Mitte Oktober noch offen, aber es sind bestimmt mehr als 60 Prozent. Ich schaue mir zur Zeit die Vorstellungen an, jeder kriegt seine Chance.

Ihr Vorgänger bestand in seinem Vertrag unter anderem auf den Erhalt der Spielstätten Concordia und Brauhauskeller. Wie haben Sie verhandelt?

Der Brauhauskeller gehört zum Haus, der wird auf jeden Fall weiter genutzt. In Bezug auf die Concordia gibt es verschiedene Optionen: Die negative ist die Schließung, die anderen gehen von zwei statt wie bisher drei Produktionen pro Spielzeit aus. In der übrigen Zeit wäre das Haus fremdvermietet.

Und die geplante Verringerung des Etats um 1,5 Millionen Euro? Ist das eine „Kröte“, die Sie schlucken mussten?

Diese Zahlen standen von Anfang an im Raum, aber noch sind sie „weiche Masse“. In meinem Vertrag habe ich jedenfalls festschreiben lassen, dass die durch Sponsoring eingeworbenen Mittel tatsächlich der Kunst zu Gute kommen und nicht durch entsprechende Kürzungen gleich wieder wegfallen – sonst hätte ich mich für Nichts aufgerieben.

Klaus Pierwoß kritisiert, dass Sie das inhaltliche Profil des Hauses zu sehr nach Marketing-Gesichtspunkten ausrichten wollten.

Wir haben das diskutiert: Er meint, dass Kunst nicht ökonomisierbar gemacht werden darf. Ich will genauso Kunst, aber nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Prozess. Man muss das ganzheitlich sehen: Die größten Künstler waren hervorragende Kaufleute, also strategisch begabt. Natürlich wäre es grundlegend falsch, wenn ein geschäftsführender Direktor der eigentliche Theaterleiter ist. Andererseits kann man nur dann ein guter Manager-Intendant sein, wenn man auch alle knallharten Geschäftsmethoden kennt.

Im Übrigen: Wenn Pierwoß ein Musical mit Helmut Baumann macht, ist das auch eine Marketingentscheidung.

Aber ebenso eine Qualitätsentscheidung. Die Frage ist, ob die Vermarktbarkeit ausschlaggebend sein darf.

Man muss natürlich einen Mix machen. Dabei können auch unwirtschaftliche Stücke Marketing-Entscheidungen sein – wenn sie für Aufmerksamkeit sorgen, etwa Uraufführungen. Vieles ist also eine Frage der Begrifflichkeit beziehungsweise des Generationswechsels. Ich habe ja unter Klaus Pierwoß hier angefangen, das war so etwas wie eine Vater/Sohn-Verhältnis. Aber manchmal nimmt der Sohn eine Entwicklung, mit der der Vater nicht immer glücklich ist.

Der hat neben seiner Rolle als Generalintendant auch die des kulturpolitischen Löwen ausgefüllt. Treten Sie dieses Erbe an?

Ein Magazin hat über sein Ausscheiden geschrieben, „der Lotse geht von Bord“ – was ja historisch auf Bismarck gemünzt ist. Insofern sind die Fußstapfen sehr groß. Andererseits hat Pierwoß stark polarisiert, schon deswegen muss ich mich jetzt mehr in stiller Diplomatie üben. Langfristig werde ich aber deutlich meine Meinung sagen.

Interview: Henning Bleyl