Maschinen an die Macht

„Living rooms. Happy end of the 21st century“: Eine Ausstellung in Bremen zeigt, wie es sich anfühlt, wenn Maschinen unser Leben beherrschen. Alles halb so schlimm, sagen die Künstler. Doch wo bleibt der Mensch?

von JENS FISCHER

Anheimelnd wirkt der ansonsten meist weiß-karg-leere Ausstellungssaal der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK) in Bremen. Schwere Vorhänge sorgen für samtig-brokatene Verschattung, Spitzengardinchen und Kakteenschmuck für gutbürgerliche Putzigkeit. Zum Zeitvertreib verlocken Dominosteine auf dem Esstisch. Die Innenarchitektur aus Sperrmüllmobiliar, ordentlicher Second-Hand-Ware und den üblichen Ikea-Verdächtigen ist der deutschen Gemütlichkeitsrealität nachgebildet. Die aus dem häuslichen Umfeld bekannten Wohnbereiche laden zur verschlummert sexualisierten Mittagspause mit einem zugeneigten Menschen ein, zur anschließenden Händewaschung, aber auch zum Kochen, Essen, Zeitunglesen.

„Living rooms. Happy end of the 21st century“ ist die Ausstellung betitelt, und auf den zweiten Blick ist sie nicht anheimelnd, sondern gruselig. Nimmt man auf dem Sofa Platz, um einen Blick in die TV-Welt zu erhaschen, erblickt man sich selbst auf dem Bildschirm. So geht‘s schon mal los. Dann dellt sich neben einem der Sitzmöbelbezug ein, als ob jemand Platz nehmen würde. Es ist aber niemand da. Ein Wasserhahn beginnt zu plätschern, das ratternde Jaulen des Staubsaugers hebt an, Lampen werden hoch und runter gedimmt, aber keiner scheint Hebel, Schalter, Tasten betätigt zu haben. Ein mit Palmengestrüpp gefüllter Kübel mäandert los, in einer Kaffeetasse klötert der Löffel, das von einem Blumentopf berittene Tischchen geht quietschend auf die Flucht, während sich ein Stuhl schmerzensreich zusammenkrümmt.

Wie von Geisterhand, hätte man früher gesagt. Heute kennt man die pneumatischen Tricks und elektronisch gesteuerten Magnetismus-Zaubereien. Und fühlt sich doch wie in einem Horrorfilm. Die Umwelt, die man zu beherrschen glaubte, entwickelt ein Eigenleben. Eine mit und für sich selbst agierende Wohnung entkuschelt das Anwesenheitsgefühl. Kein Mensch, nirgends. Nur die Mechanik der Lebensverrichtungen ist zu sehen. Wer genau hinschaut, erkennt das durchschnittliche Morgenritual eines durchschnittlichen Morgenmuffels – ein Loop der immer gleichen Bewegungen und Geräusche: vom Radioweckerlärm über das Zurückschlagen der Bettdecke, den After-Shower-Fön, das Rotieren der Kaffeemühle und so fort.

In einer Laborphase konnten Zuschauer den Entstehungsprozess dieses „bewegten dreidimensionalen Bildes“ verfolgen. So nennen die Künstler Jan Cummerow und Stefan Doepner sowie der Elektroingenieur Lars Vaupel ihre robofizierten und verhaltensprogrammierten Wohnelemente. Das Trio bildet den Nukleus des F18-Instituts, das 1996 als Werkstatt, Galerie, Künstlertreffpunkt und Atelier am Fischmarkt 18 in Hamburg gegründet wurde, viel für die Kulturfabrik Kampnagel gearbeitet hat, heute aber an der Elbe nur noch ein Büro besitzt – wie auch in Ljubljana – und europaweit techno-/humanoide Performances und Installationen realisiert. Zwei bis 40 Künstler und Techniker schließen sich an dem jeweiligen Ort zur Kunstproduktion zusammen.

In den Bremer „Living rooms“ sind 50 Bewegungserlebnisse eingebaut: vom brachialen Schubladenknallen bis zum geräuschlosen Zirkulieren eines Spülenschwamms. Als Besucher kann man einfach dastehen – und schauen, was passiert. Erstaunlich, was mit Fummlerleidenschaft, Tüftlerhandwerk und Bastelkunst so alles möglich ist. Gesteuert von zwei Rechnern, die hinter Türvorhängen in einem kabelchaotischen Werkstattbasar stehen, wird Kunst als Technikspielplatz erlebbar, ein wenig surreal, ein wenig dada – und reichlich spaßig.

Tatsächlich sind die Roboter ja längst unter uns. Als intelligente Agenten suchen sie im Internet nach Informationen, bieten mit bei Online-Auktionen und sorgen als Steuerungssysteme für Schöner Wohnen. Aber das F18-Institut will die Technifizierung des Alltags weder feiern noch seine Fantasielosigkeit kritisieren. Es will mit Kabel, Relais und Software über die Automation des Lebens, nachdenken. Und sie zum Klingen bringen. Sonic Kitchen, ein Bremer Duo für experimentelle elektronische Musik, komponiert aus den Bewegungsabdrücken und Geräuschen des imaginären Tätigkeitsabblaufs ein Raumkonzert. Der Klang der zum Laufen gebrachten Stühle verdichtet sich, als spiele die Wohnung zunehmend verrückt. Bis die lärmend mobile Sinfonie wieder in sich zusammenfällt. Ein Inferno – und die Ruhe danach.

Aber wo bleibt der Mensch? Übernehmen Maschinen die Macht? Die Künstler beschwichtigen. „Technologie ist eine natürliche Geschichte, eine nicht aufzuhaltende Evolution, wir sind ihr zwar ausgesetzt, haben aber die Macht über den Schalter von Ein und Aus“, erklärt Cummerow. Die Angst davor sei nur die vor Veränderungen und damit „extrem bürgerlich“. Nie sei ein Roboter böse, schlimmstenfalls sein Schöpfer.

Auf gar keinen Fall böse Absichten hat das F18-Institut. Im Gegenteil, es freut sich darüber, wenn Besucher Elemente der Ausstellung als Haushaltshilfe weiterentwickeln.

Bis 18.6., Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen; Öffnungszeiten: Di–So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr