urdrüs wahre kolumne
: Denken mit Gänseblümchen

Selbst an Pfingsten, dem lieblichen Fest, mussten in den Katakomben des hannoverschen Hauptbahnhofs die versklavten Krampfadergeschwader des Einzelhandels bei Lidl und bei Rossmann vom frühen Morgen bis weit in den Abend hinein fronen zum Ergötzen jener shoppenden Liberalinski-Citoyen, die bei der Ausgießung des Heiligen Geistes der Solidarität grundsätzlich mit Abwesenheit glänzen. Diese Ladenöffnung aber war obendrein auch nach geltenden Gesetzen illegal – und obwohl in der Welfenstadt die Bullizei schon rumkramentert, wenn ein paar Punks auf dem Bahnhofsvorplatz mit Bierdosen Fußball spielen, rückte keine Hundertschaft an, um die gegen das Ladenschlussgesetz verstoßenden einkaufssüchtigen Kunden samt der Dealer festzunehmen und ihrer wohlverdienten Bestrafung zuzuführen. Beim näxten Mal aber lässt DER HERR den Blitz einfahren und schickt eine Feuerwolke, die Orte dieser Schande zu vernichten – mit allem eitel Tand darinnen (siehe Apostelgeschichte 2, 4 ff)!

Immer noch gibt es auch unter LeserInnen dieser Spalten Menschen, die sich in der Öffentlichkeit nie und nimmer mit dem Fickificki-Magazin Happy Weekend zeigen würden, aber ganz und gar unverkrampft mit dem Focus durch den Montag ziehen, obwohl dessen Chef ja schon peinlich genug ist, um solche Fakten Fakten unbedingt zu vermeiden. Beim tierquälerischen Polo-Derby der Hamburger Privatbank Berenberg in Flottbek aber trat neben den Teams der üblichen Verdächtigen von Bentley, Rolex und Lanson diesmal auch eine Mannschaft des Focus an, um auf diese Weise den Arsch jener Anzeigenkundschaft zu küssen, der denselben ansonsten gern im platinbeschlagenen Onyx-Bidet wässert. Welcher Pferdeflüsterer kann mit den Gäulen mal darüber sprechen, wann sich der Abwurf der Herrenreiter aus dem Sattel so richtig lohnt?

Für 60 Millionen sollen jetzt tatsächlich amerikanische Investoren dem Bremer Senat die Planungsruine des Space Park abgekauft haben – bei Investitionen von rund einer halben Milliarde ja wirklich ein blendendes Geschäft für die Wirtschaftsförderer von der Weser. Doch selbst diesem Gammelfleisch-Braten vermag man ja im Ernst nicht so recht trauen: Kriegt Bremen dafür Aktien des Investors, spaziert am Ende der Senat als Bürge mit zur kreditierenden Bank oder welche Chance eröffnet sich dem Gesindel sonst, sein Gratis-Champagnerdeputat schlückchenweise abzutrinken? Erinnert sei der Senat an die alte Pfeffersack-Weisheit der noch älteren Insterburg-Barden: „Nur ungern nimmt der Handelsmann/statt baren Geldes Stuhlgang an!“

Beim Bremer Flohmarkt an der Kaje frage ich den Verkäufer eines Uralt-Radios aus früher DDR-Produktion, ob ich das Gerät einmal an einem Stand mit Stromanschluss ausprobieren dürfte. Antwort: „Ich weiß nicht, wie der Kasten auf Weststrom reagiert.“ Auch nahezu zwei Jahrzehnte nach der Wende sind offenbar noch viele innerdeutsche Fragen ungeklärt …

Und falls das Wetter an diesem Wochenende wirklich so schön wird wie erwartet, und wenn Du autonom genug bist, um Dich vom Fußballwahn frei zu machen, so setze Dich in den nächstbesten Park, füttere die Eichhörnchen mit Cornflakes und lies anschließend den kürzlich erschienenen Suhrkamp-Band „Die Wette auf das Unbewusste“ von Iris Hanika. Dazu ein kühles Bier, das sich ohne Fernsehwerbung am Markt behauptet, und schon garantiert Dir ein paar gedeihliche Stunden zwischen Gänseblümchen und Sauerampfer ULRICH „PSYCHO“ REINEKING