HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: Zu weit gefahren

Die S-Bahn fährt beständig aus der Stadt hinaus.

Sind die hellen Haare auf der hellen Haut auf ihrem Rücken nicht eigentlich an einer Stelle, an der ihr Freund etwas dagegen haben müsste, dass sie sie entblößt? Das Mädchen trägt Hosen, wie sie ältere Mütter mit ihren Töchtern in C&A aussuchen würden, oder wie entnervte Töchter sie fünf Jahre später in die Kleiderspende in Wilhelmsburg geben würden.

Sie hat keine Zähne. Sie hat vorne oben vier Stück und dahinter nur noch Draht und Gitter, und während ihre Hände die ihres Freundes suchen, und sie sich in das Gespräch einzubringen sucht, welches er mit seinen Freunden in einer fremden Sprache führt – lächelt sie.

Erschrocken suche ich ihren Körper mit den Augen weiter ab. Ein, zwei Narben auf der Hand, die die Größe eines Zigarettenstummels haben. „Wir sind zu weit gefahren, stimmt’s, wir sind eine zu weit gefahren!“

Ihr großer, runder Freund, der ihre Hände, die seinen Körper suchen, wahlweise abbremst oder in seinen Alltag integriert, nimmt sie mit, zum Haltestellenfahrplan bei der Tür des Abteils. Von dort aus bestätigt er seinen gut gelaunten Kumpels: Ja, man ist eine zu weit gefahren! Die nächste muss man aussteigen.

Das kurze, blonde Mädchen steht zwischen den großen, braunhäutigen Jungen. Draußen macht sie einem von ihnen unter den geduldigen Blicken ihres Freundes die Sweatshirtjacke zu. Es muss wohl noch ein wenig kühl sein, selbst wenn wir schon Juni haben.