Iggy Pop saß vor den Kokosnüssen

KONVULSIONEN Im WAU wurde die „Große Krautrock & Psychedelic Movie Nacht“ zelebriert, eine Hommage an die wuchernde Krautrockszene der 70er Jahre. Der Ort am Halleschen Ufer hieß früher „Zodiak“ und war einer der ersten Berliner Untergrundclubs

Der Name Krautrock verdankt sich dem deutschenfeindlichen Humor der Limeys

Für die in verschiedenen Zungen tuschelnden und kichernden Twens mit Rucksäcken und Stadtplänen, die sich ihren Weg zwischen den Tischen vor dem WAU bahnen, ist es ein großes Hallo: Mitten auf dem Rasen steht eine Riesenleinwand, auf der Menschen mit Bärten und Ronald-McDonald-Bemalung eine kleine Plastikpuppe am Stock hin- und herreichen. Dazu knarren, dröhnen und quietschen Töne, die man nur wirklich verstehen kann, wenn man mindestens ein Drittel so opiumhigh ist wie der Künstler, Regisseur und Fotograf Ira Cohen, als er 1968 „The Invasion of Thunderbolt Pagoda“ drehte. Geholfen hat ihm damals eine Clique Drogen- und TheaterschminkefreundInnen, die ihre pflanzengiftinduzierten Reisen mit Hilfe von verzerrten Kameralinsen und entsprechendem Score aufzeichnete.

Der Film ist eine Stunde lang, und das reicht auch. Zwar gilt er wegen seltenster Aufführung und authentischer Triperfahrung als legendär und bahnbrechend. Aber richtig spannend wird er erst als Gegenpol zu anderen Filmausschnitten – etwa zur Tripszene aus „Riot on Sunset Trip“, die die Gruppe „Krautopia“, Gastgeber der „Großen Krautrock & Psychedelic Movie Nacht“ als Kontrastprogramm direkt danach zeigt. In dieser Low-Budget-Hippie-Exploitation-Produktion von 1967 windet sich Mimsy Farmer als vom bösen Drogenverführer unter LSD gesetztes gefallenes Mädchen konvulsiv auf dem Boden. Der Minirock rutscht hoch, mit großen, dramatisch mit Eyeliner umrahmten Augen betrachtet sie ihre Hände: Seit es Trips gibt, gibt es ihre klischierte, den Voyeurismus eines geifernden Biederpublikum befriedigende Darstellung.

Während die USA noch kräftig Gitarren verzerrt und Paisleymuster malte, schlug man im weitgehend soulfreien und wurzelmäßig eher an Marschmusik orientierten Deutschland tatsächlich einen etwas anderen Weg ein. Und auf den hat sich Krautopia eigentlich spezialisiert: Auf die wuchernde Krautrockszene der frühen 70er. Die wunderbar umfassende BBC-Produktion „Krautrock – The Rebirth of Germany“ von Ben Whalley fährt systematisch die damaligen Krautrock-Hotspots Berlin, Düsseldorf, Köln und München abund lässt jeden Überlebenden zu Wort kommen, der auch nur im Entferntesten Frisuren oder Sound mitprägte. Neben schönen Can-, Kraftwerk- und Amon-Düül-Ausschnitten zieht sie Rückschlüsse zwischen dem Beginn dieses spannenden musikalischen Zwitters und dem deutschen Kriegserbe. Und sie erklärt die Entstehung des Namens: Mit ihrem britisch-blasiert-trockenem Humor waren es natürlich Limeys, die sich den Namen ausgedacht hatten. O-Ton-Geber Iggy Pop, der – selbstverständlich – halbnackt vor seiner Kokosnusshütte sitzt, erklärt seine Bewunderung für die Musik, die „nicht mit Blues und Rockzeug belastet ist“. Ben Whalley zeigt die Verbindungen zum frühen David Bowie, der seine ersten Platten von Krautrockmusikern einspielen ließ, und „Neu!“- und Kraftwerk-Mitglieder philosophieren über die Bedeutung von fließendem Wasser für ihre Musik, bevor sie über das Düsseldorfer Kling-Klang-Studio und den Produzenten Conny Plank sprechen.

Und während das Publikum an den Tischen raucht, trinkt, die längeren, oft grauen Haare ins Gesicht fallen lässt und Diskussionsfetzen zur Bedeutung von Landkommunen herüberwehen, rattern hinter der Leinwand über dem breiten Halleschen Ufer die U-Bahnen vorbei: Die Räume des WAU hießen in den späten 60ern „Das Zodiak“ und bildeten einen der ersten Untergrundclubs Berlins, in dem sich Kraut- und Psychedelicrocker trafen, an Joints saugten, bis die Erkenntnis kam, und die Nächte durchspielten. Einen geeigneteren Ort für eine Reminiszenz kann es wahrlich nicht geben.

JENNI ZYLKA