AFGHANISTAN: MEHR NATO-TRUPPEN KÖNNTEN KONTRAPRODUKTIV SEIN
: Soldaten allein bringen kein Vertrauen

Die Nato-Verteidigungsminister haben die Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes in den Süden des Landes bestätigt und in den Osten angekündigt. In den Regionen mit starken Taliban-Aktivitäten wie dem Rest des Landes soll bis Jahresende die Zahl der Soldaten auf 25.000 aufgestockt werden. Damit nähert sich die Nato der Truppenstärke von 30.000, die UN-Vertreter beim Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 vergeblich als Minimum zur Befriedung des Landes gefordert hatten. Damals war die internationale Gemeinschaft nur bereit, 6.000 Soldaten für die Isaf-Mission zu stellen.

Jetzt weitet die Nato notgedrungen die Truppe aus. Denn die Taliban sind mitnichten geschlagen. Vielmehr destabilisieren sie immer erfolgreicher das Land. Schon jetzt klingen manche Nato-Statements eher wie Durchhalteparolen. Dabei beunruhigen nicht nur wiedererstarkte Taliban und die wachsende Zahl von Selbstmordattentaten, sondern auch die Entwicklung in Kabul. Als sich kürzlich aus einem von US-Truppen verursachten Verkehrsunfall Krawalle mit 17 Toten entwickelten, wurde die antiwestliche Stimmung sichtbar. Dass ausgerechnet in der Hauptstadt, die wie kein anderer Ort von der Hilfe der letzten Jahre profitierte, Menschen spontan gegen westliche Einrichtungen vorgehen, zeugt vom Vertrauensverlust. Vertrauen kann aber nicht mit mehr Soldaten zurückgewonnen werden, zumal als arrogant empfundenes Verhalten von US-Soldaten die Krawalle auslöste. Viele Afghanen haben das Gefühl, von Ausländern in Zivil oder Uniform herumkommandiert zu werden.

Die Aufstockung ausländischer Truppen, die heute martialischer auftreten als zu Beginn, löst inzwischen eher Gefühle von Besatzung aus als von Sicherheit. Sollten die Truppen der Antiterrorkoalition und der Isaf auch noch wie von den USA angestrebt unter ein gemeinsames US-Kommando kommen, dürften die Afghanen gar keine Unterschiede mehr machen. Ohne Überdenken der gesamten Afghanistan-Strategie der internationalen Gemeinschaft kommt die Truppenaufstockung der Nato nicht nur zu spät. Sie könnte sogar kontraproduktiv sein. SVEN HANSEN