Mehr kleine Gruppen, noch gewalttätiger

Am Tag nach dem Tod Abu Mussab al-Sarkawis spekuliert die irakische und die arabische Öffentlichkeit über die Folgen. Al-Qaida könnte sich spalten und noch brutaler werden, fürchten Sicherheitsexperten. In Bagdad galt gestern ein Fahrverbot

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Die irakischen Sicherheitskräfte wollten es einen Tag nach Verkündung des Todes Abu Mussab al-Sarkawis besser nicht darauf ankommen lassen. Trotz der von der Regierung verbreiteten Hoffnung, dass mit dem Ende des Al-Qaida-Chefs endlich mehr Ruhe einkehren könnte, gingen die Behörden auf Nummer sicher. Aus Angst vor Autobomben verhängten sie ein Fahrverbot über Bagdad und die Stadt Bakuba, in deren Nähe Sarkawi getötet worden war.

Premier Nuri al-Maliki drückte gestern die Hoffnung aus, dass die irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den Terror vor einem Wendepunkt stehen. Er kündigte eine Initiative an, Bagdad sicherer zu machen und den dortigen Versuchen der ethnischen Säuberungen ein Ende zu bereiten. Die irakische Polizei fand gestern östlich von Bagdad erneut Leichen von 20 an den Händen gefesselten Zivilisten. Alleine dieses Jahr wurden über 6.000 eines gewaltsamen Todes gestorbene Menschen im zentralen Leichenschauhaus angeliefert, meist Opfer eines Kleinkrieges zwischen Schiiten und Sunniten. In einem Gastbeitrag der britischen Times stellt Maliki eine „Strategie an drei Fronten“ vor. Eine echte nationale Aussöhnung, ein umfangreicher Wiederaufbau und die Verbesserung der Schlagkraft von Militär und Polizei seien nötig, schreibt er.

Aus Kreisen der US-Militärs heißt es unterdessen, dass man bei der Operation gegen Sarkawi einen „wahren Schatz an Informationen entdeckt habe, der helfen könnte, al-Qaida im Irak zu zerschlagen. Nähere Details dazu wurden nicht bekannt. Klar ist aber inzwischen, dass Sarkawi aus den eigenen Reihen verraten wurde. Ein Umstand, der die Zukunft al-Qaidas im Irak ernsthaft gefährden könnte.

Arabische Terrorexperten wie der Ägypter Dia Raschwan gehen davon aus, dass sich die Gruppierung in kleinere lokale Organisationen spalten könnte, die noch gewaltsamer vorgehen. Raschwan erwartet, dass diese Gruppierungen wieder vermehrt versuchen werden, Ausländer zu entführen und zur Praxis der Enthauptungen vor laufender Kamera zurückzukehren. „Gerade nach dem Tod Sarkawis müssen sie sich beweisen“, lautet der Tenor unter arabischen Sicherheitsexperten.

Im Sarkawis jordanischer Heimatstadt Sarka war noch am Donnerstagabend bei dessen Familienhaus ein Kondolenzzelt für den „Märtyrer Sarkawi“ aufgebaut worden. Die Anwesenden priesen ihren „Helden gegen die US-Besatzung“, wie es einer der Besucher formulierte. Journalisten wurden von Nachbarn mit Steinen und Flaschen verjagt. Der jordanische Geheimdienst, der auch an der Auffindung Sarkawis im Irak beteiligt gewesen sein soll, behielt die Szene misstrauisch im Auge.

Die arabischen Medien sind sich einig, dass Sarkawis Tod nicht zu einem Ende der Gewalt führen wird. „Der Mann, der mehr irakisches Blut an den Händen hat als die Amerikaner, war nur ein Symbol“, glaubt die überregionale arabische Tageszeitung Al-Hayat. „Es werden neue Jugendliche auftauchen mit strengem Glauben und wildem Tatendurst. Sie haben ihren eigenen Wortschatz, verurteilen und exekutieren vor laufender Kamera, internationales Recht und Grenzen kümmern sie nicht“, kommentiert die Zeitung.

„Wird uns das Phänomen Sarkawi weiterverfolgen?“, fragt die überregionale Schark al-Aussat. „Wenn die Sunniten in den politischen Prozess im Irak eingegliedert werden können, wenn die irakische Regierung den Menschen tatsächlich etwas anzubieten hat und wenn der Nuklearstreit mit dem Iran nicht eskaliert“, dann, schreibt das Blatt, „könnte das Gespenst Sarkawis tatsächlich nicht wiederkehren“.