Rebellissimus Realissimus

Joschka Fischer geht in die Weltpresse: Für das „Project Syndicate“, dessen Texte in allen angeschlossenen Zeitungen gedruckt werden können, analysiert er als „The Rebel Realist“ die Weltlage. An der US-Uni Princeton ist er immer noch nicht angelandet

VON ULRIKE WINKELMANN

Beinahe hätte sich der Eindruck verbreitet, die rot-grünen Regierungsfürsten wollten ihre außenpolitischen Freundschaften bloß noch in Gazprom-Dollars verwandeln. Bis neulich Joschka Fischer aus der Süddeutschen Zeitung lugte. In einem Gastbeitrag zum Iran-Atomproblem ermahnte er die USA, unverzüglich in direkte Verhandlungen mit Teheran einzutreten.

Noch am selben Tag verkündete US-Außenministerin Condoleezza Rice, die USA seien zu Atomgesprächen mit dem Iran bereit. Die Grünenspitze in Berlin erklärte, möglicherweise hätten die USA aber auch aus eigenem Antrieb gehandelt.

Vielleicht zum letzten Mal. Denn Fischer ist jetzt bei „Project Syndicate“ unter Vertrag und wird monatlich für die Weltpresse die Weltlage analysieren. Er bekommt dafür ein „bescheidenes Honorarium“, erläutert das Syndikat, das mit „Agentur“ zwar korrekter, aber nicht schöner übersetzt wäre.

Das Syndikat wird von der Jura-Fakultät der New Yorker Columbia-Universität und einem Prager Büro aus geleitet und verwaltet eine lange, lange Liste von Wissenschaftlern und Politikern. Deren Beiträge dürfen maximal 1.000 Worte haben und können in allen Zeitungen gedruckt werden, die zum Syndikat gehören. Hierzulande sind das neben der SZ auch die Welt und die Financial Times Deutschland. Weniger gut ausgestattete Blätter wie Le Temps in Gabun mit einer Auflage von 5.600 Stück müssen nichts bezahlen.

Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer wurde als „Thought Leader“, was als „Gedankenführer“ etwas mehrdeutig klingt, in die Liste der regelmäßigen Schreiber aufgenommen – neben zum Beispiel dem Ex-Weltbank-Chefökonomen und Globalisierungskritiker Joseph Stiglitz oder dem liberalen deutschbritischen Lord Ralf Dahrendorf.

Früher schrieben auch große Deutsche wie Helmut Kohl für das Syndikat. Derzeit zählt der Münchner Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn zu den Monatsschreibern, nicht aber zu den Thought Leaders. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stellte zuletzt im Mai zwar einen Beitrag, aber noch nicht einmal ein Foto zur Verfügung.

Während allerdings Dahrendorf wie nahezu alle anderen Autoren sich unter einem unpersönlich-abstrakten Titel bewerben lässt – „Against the Current“ (Gegen den Strom) –, firmiert ein Joschka Fischer selbstredend unter einem großen Ego: „The Rebel Realist“, was sich selbst übersetzt.

Das Syndikat vermakelt seine Autoren nicht als Redner oder Gastprofessoren. An der Universität Princeton ist Fischer nach wie vor nicht angelandet. Hieß es doch nach Antritt der großen Koalition, er werde jetzt Prof in den USA – und die Elite-Schmiede südlich von New York sei im Gespräch. Princeton-Professor Uwe Reinhardt an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs freut sich aber, dass Fischer nun auf anderem Wege die Amerikaner erreicht – und „hoffentlich verdient er Geld dabei“, sagt Reinhardt. „Warum sollte er das für umsonst machen und Löcher in den Schuhen haben?“