Nur Entertainment

Einst als kulturelles Lebensmittel für Bergleute gegründet, sind die Ruhrfestspiele davon heute weit entfernt

In der Provinz boomt das Mittelmaß besonders gut: Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, wo gestern der letzte Vorhang fiel, haben einen neuen Zuschauerrekord erreicht. Über 70.000 verkaufte Karten freuen nicht nur den Deutschen Gewerkschaftsbund als Gesellschafter, auch den Luxemburger Intendanten Frank Hoffmann riss die Begeisterung vom Hocker. Er produzierte nach Bekanntgabe der Zahlen im Jubiläumsjahr den Klotürspruch: „Wir müssen immer auch an Hartz IV denken, wenn wir Shakespeare inszenieren.“

Das Werk des britischen Theaterheroen musste 2006 nämlich ungefragt herhalten, die Besucherzahlen weiter in die Höhe zu schaufeln. Dazu holte sich das grüne Hügel-Team noch ein paar große Namen wie den amerikanischen Film-Star Kevin Spacey oder das deutsche TV-Sternchen Désirée Nosbusch – dieses System aus harmlosen Inszenierungen und großen Namen funktioniert an jeder Boulevard-Bühne. An die Spitze europäischer Festivals kommt so niemand, auch wenn Hoffmann das oft erklärt.

In Theaterkreisen gelten die Spiele in Recklinghausen längst als künstlerisch tot, denn die ehemalige und einmalige Definition „Kohle für Kunst – Kunst für Kohle“ aus dem harten Nachkriegswinter 1946/47 gilt nicht mehr. Die Ruhrfestspiele sind nur noch ein mit zu vielen Steuer-Cents gefördertes Durchschnitts-Entertainment und längst keine Kunst mehr – die wollen die meisten Besucher gar nicht sehen. Die Marke wurde dem Marketing geopfert. Und so sei das Festival nach der Beinahe-Pleite unter Festspielleiter Frank Castorf im Jahr 2004 wieder in gesicherten Bahnen, sagte Hoffmann. Auch das damals entstandene Defizit von rund 800.000 Euro sei durch Sparmaßnahmen und durch den großen Zuschauer-Erfolg wieder ausgeglichen worden. Deshalb darf Hoffmann auch bis 2009 bleiben.

Bergleute der Schachtanlage König Ludwig 4/5 verhalfen einst Hamburger Künstlern unter persönlichem Risiko an der englischen Besatzungsmacht vorbei zum schwarzen Brennstoff. Beeindruckt bedankten sich die Theatermacher im folgenden Sommer mit einem Gastspiel. So entstanden die Festspiele.

Persönliches Risiko trägt in der Leuchtturm-Kultur heute niemand mehr, auch nicht, wenn die Region 2010 Europäische Kulturhauptstadt ist. Hoffentlich gilt dann nicht auch der feige Grundsatz: Große Namen, viele Besucher, bloß keine unbequeme Kunst. PETER ORTMANN