Auflauf mit brauner Soße

200 NPD-Anhänger demonstrieren in Gelsenkirchen, Tausende dagegen. Lammert: „Verlottertes Häuflein“

GELSENKIRCHEN taz ■ Ein Gemüseladen, ausgerechnet hier. Gerade als sich die rund 200 NPD-Anhänger in Bewegung setzen wollen, um dünne Parolen in die Sommerluft zu pusten, hagelt es Tomaten. Nachschub gibt es ja genug. Die Auslagen des Gemüseladens sind prall gefüllt – noch. Die Neonazis werfen zurück. Fletschen ihre Zähne. Bellen. Ein putziges Bild. Als die Polizei eingreift, kommt es zu einem kurzen Gerangel.

Gelsenkirchen, Samstagmittag. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands darf marschieren. Das hatte das Bundesverfassungsgericht erst tags zuvor per Eilentschluss entschieden, nach tagelangem juristischem Tauziehen. Gelsenkirchens Polizeipräsident Rüdiger von Schoenfeldt hatte bis zuletzt versucht, den Aufmarsch der Neonazis zu verhindern. Er fürchtete um die Sicherheit in der WM-Stadt. Außerdem sorgte sich von Schoenfeldt um das Ansehen Deutschlands. Mit gutem Grund: Als die Tomaten flogen, hielten etliche ausländische Kamerateams drauf.

Einige Straßen entfernt, vor dem Musiktheater der Ruhrgebietsstadt, setzen zur selben Zeit rund 5.000 Menschen ein friedliches Zeichen gegen rechts. Unter den Gegendemonstranten sind auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Müntefering wirft den Neonazis vor, die WM zu missbrauchen, um Fremdenfeindlichkeit zu säen. „Diese braune Soße soll in Deutschland nie wieder eine Chance haben – nie mehr!“, ruft der Arbeitsminister.

Norbert Lammert bezeichnet den Aufmarsch der NPD-Anhänger indes als Auftritt eines „kleinen Häufleins verlotterter Rechtsextremisten“. Und zeigt zugleich Verständnis für die Genehmigung der Demo: Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, dies zu verhindern. Es sei Aufgabe der Bevölkerung, zu zeigen, dass solche Gesinnungen hier nichts zu suchen hätten.

Das muss man den Menschen in Gelsenkirchen nicht lange sagen. Mehrere hundert Gegendemonstranten stellen sich der so genannten Partei immer wieder in den Weg. „Wir wohnen hier – warum sollen wir weggehen“, rufen die vorwiegend ausländischen Demonstranten, als sie von der Polizei aufgefordert werden, die Straße zu räumen. Sie bleiben. So lange, bis die Polizei die Route der Nazis umleitet.

Als die Rechten wieder zurück am Ausgangsort sind, schiebt der Gemüsehändler leere Paletten weg. Kurze Zeit später geleitet die Polizei den Pulk in den Hauptbahnhof. In der glänzenden Halle lassen sich Ernie und Bert aus der „Sesamstraße“ mit Fußballtouristen ablichten. Ernie kichert, als Polizisten in Kampfmontur auf die Bahnsteige stürmen. Gegendemonstranten sind aus Büschen gesprungen und bewerfen die Nazis mit Steinen. Sie werden verhaftet. Und die Neonazis in Züge verfrachtet. Die WM kann weitergehen.

BORIS R. ROSENKRANZ