„Piraten handeln nach altem kaufmännischem Prinzip“

ORGANISIERTE PIRATERIE Die Seeräuber am Horn von Afrika werden falsch eingeschätzt. Ihre Hintermänner, darunter ehemalige Soldaten, operieren aus Europa und Asien, sagt der Hamburger Schifffahrtsjournalist Eigel Wiese

■ ist gelernter Fotograf, ausgebildeter Journalist, veröffentlichte mehr als 25 Bücher zum Thema Seefahrt und hat ein umfangreiches Fotoarchiv zum Thema Schiffahrt. Foto: Privat

taz: Herr Wiese, ob Klaus Störtebeker, Sir Francis Drake oder die nordafrikanischen Ryfkabylen – Piraterie schien lange ein romantisch verklärtes Phänomen aus vergangenen Tagen zu sein. Seit einigen Jahren boomt die Seeräuberei wieder. Ein Preis für Welthandel und Globalisierung?

Eigel Wiese: Es ist nicht der Preis. Doch es besteht schon ein gewisses Risiko, wenn man Güterströme durch die Welt transportiert und diese reichen Güterströme an Gegenden vorbeitransportiert, in denen dieser Reichtum nicht vorhanden ist. Das weckt Begehrlichkeiten. Das war schon zu Zeiten von Klaus Störtebeker und seinen Kumpanen so.

Karibik, die Straße von Malakka, Nigeria – Sie zeigen in Ihren beeindruckenden Reisebeschreibungen, dass Piraterie an vielen Küsten vorkommt.

Was wir heute an Piraterie erleben, ist hart und straff organisierte Kriminalität. Dahinter stecken ähnliche Organisationen wie die Drogenkartelle.

Kritiker geben europäischen Staaten am Boom der Piraterie eine Mitschuld, denken wir etwa an Überfischung oder die Verklappung von Giftmüll.

Ich halte den „armen Fischer aus Somalia“ für ein vorgeschobenes Argument. Früher waren die Fischer nicht einmal in der Lage, einen fremden Fischtrawler aus ihrem Küstengebiet zu vertreiben. Dieselben Leute können angeblich plötzlich Riesentanker überfallen.

In eine Hamburger Reederei wurde eingebrochen, um Hintergrundinformationen zu erhalten; Hacker drangen in das Piratenwarnsystem der EU ein, und es wurden auch schon Seeräuber mit Hochschulstudium dingfest gemacht.

Die Informationsströme in Metropolen wie London, Frankfurt oder Dubai sind klar erkennbar. Außerdem bilden die kriminellen Kartelle aus. Nicht in Form von Trainingscamps, aber sie sagen ihren Leuten, probiert das und das Verhalten mal so und so aus und schaut, wie die Seeleute darauf reagieren. Das wurde für mich deutlich, als die EU-Mission „Atalanta“ begann und die Piraten testeten, wie weit die Deutschen in ihren Reaktionen gehen. Seither gibt es immer wieder Aktionen, mit denen die Piraten ausprobieren: Wie reagiert die deutsche Öffentlichkeit, wie reagiert die Politik, wie reagieren die Militärs? Da wirken im Hintergrund Fachleute, und in den entscheidenden Kreisen sitzen auch ehemalige Soldaten.

Internationale Profikriminelle haben also Seeräuberei als neues Geschäftsfeld entdeckt?

Ja. Anfänglich waren die Lösegeldforderungen weit niedriger als heute. Längst probiert man aus: „Ach, was kriegen wir denn?“ Auch Piraten handeln eben nach dem alten kaufmännischen Prinzip: „Wie kriege ich den höchsten Preis für meine Ware?“

Gehörten Handel und Freibeuterei schon immer zusammen?

Vor 500 Jahren war der Unterschied zwischen einem Kaufmann und einem Piraten nicht sehr groß.

USA, Nato und EU, China und Indien zeigen mit Kriegsschiffen Flagge am Horn von Afrika. Es geht also auch um geopolitische Interessen, denken wir nur an die Bedeutung des Seehandels für die Exportweltmeister Deutschland und China.

Die geopolitischen Interessen einzelner Staaten spielen eine Rolle. Militärs und Politiker haben jedoch erkannt, dass eine einzelne Nation wenig ausrichten kann. China hat das erste Mal nach Jahrhunderten außerhalb seiner eigenen Hoheitsgewässer wieder Kriegsschiffe entsandt. Das zeigt, wie wichtig dieser Seeweg und damit auch die Handelsroute für China ist.

Eine militärische Lösung allein wird es nicht geben.

Man muss sich wirklich dem Gedanken stellen, dass es sich bei dieser Piraterie um organisierte Kriminalität handelt, die von hochspezialisierten Leuten gelenkt wird. Und an diese Leute muss man ran und etwa die Finanzströme der Lösegelder verfolgen. Dafür ist Geheimdienstarbeit notwendig. Diesen Weg muss man gehen.

INTERVIEW: HERMANNUS PFEIFFER

Eigel Wiese: „Piraterie – Neue Dimensionen eines alten Phänomens“. Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg 2010, 200 Seiten, 24,90 Euro