Eine deutsch- türkische Terrorkomödie

KLISCHEES Erst traurig, dann politisch, dann lustig: Hilal Sezgin und ihr sehr heutiger deutscher Heimatroman „Mihriban pfeift auf Gott“

Am klügsten ist das Kind in der Geschichte – sie ist noch nicht so verdreht von all dem Klischeekram

VON ALKE WIERTH

Liebe Leserinnen und Leser dieses Artikels! Ich, die Autorin dieses Textes, bin gar keine Buchrezensentin, das sei vorab gesagt. Geschweige denn eine Literaturkritikerin oder -expertin: Ich bin Redakteurin für das Thema Migration bei der taz. Einerseits liegt es deshalb vielleicht nahe, dass ich den ersten Roman von Hilal Sezgin rezensiere: weil die Autorin einen „Migrationshintergrund“ hat. Andererseits aber: Migrationshintergrund! Man mag es gar nicht mehr hören. Und bei Hilal Sezgin trifft das, was dieses Wort suggerieren soll, ebenso wenig ins Schwarze wie bei den meisten, auf die es angewendet wird. Sondern mehr so ins Hellgraue: Hilal Sezgin, 1970 in Frankfurt am Main geboren, ist die Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Beide Eltern sind Hochschullehrer. Sezgin hat Philosophie studiert.

Und weil ich keine Rezensentin bin, darf ich (jedenfalls hoffe ich das!) auch eine Form gebrauchen, die man sonst nicht darf: die Ich-Form. Das muss ich, um erzählen zu können, wie merkwürdig es mir mit diesem Buch erging.

„Mihriban pfeift auf Gott“ heißt das und erzählt einen ziemlich spektakulären innerfamiliären Krimi. Denn Mihriban, eine in Berlin lebende Türkin – eine Berlinerin mit türkischem Migrationshintergrund –, hat ihren eigenen Bruder im Verdacht, an einem in Deutschland verübten Anschlag islamischer Terroristen beteiligt zu sein. Die Tatzeit: Silvester. Das Tatmittel: vergifteter Sekt.

Man merkt: Das klingt gruselig, sehr politisch und ziemlich komisch – was sich mir in genau dieser Reihenfolge erschloss. Beim Selberlesen, zu Hause allein, fand ich das Buch furchtbar traurig. Arme Mihriban! Nun muss sie, Aushilfserzieherin in einem Kinderhort, 30 +, die ihren jüngeren Bruder Mesut aufgezogen hat, nachdem die Mutter vor dem saufenden Vater zurück in die Türkei geflohen ist, sich dessen möglicher Entwicklung zu einem menschenhassenden Islamisten stellen – die endgültige Zerstörung der Familie.

Erst bei einer Lesung Sezgins in Berlin merkte ich, wie lustig die Geschichte ist. Mesut, verlassen von seiner deutschen Frau, hat sich dem Islam zugewendet: „Über seinen neuen Freund Allah fand mein Bruder andere Freunde, die mir nicht ganz geheuer waren. (…) Einer guckte mir nicht mal direkt ins Gesicht, als ob mir irgendwie Sex aus den Augen sprühen könnte (was so gut wie nie der Fall ist); ihre Bücher schlugen sie in grüne Umschläge ein, denn Grün war die Lieblingsfarbe von Mohammed, und obwohl wir eine Dusche hatten, machten sie an unserem Handwaschbecken ihre Waschungen auf genau die Art, auf die sich angeblich ihr geliebter Prophet gewaschen hat.“

Im Anschluss an die Lesung erwischte ich mich selbst dabei, dass ich die Autorin als Erstes fragte, ob sie wirklich in Berlin gelebt hat: Man möchte verzweifeln ob der eigenen Angewohnheit, Literatur, Filme, Theaterstücke von AutorInnen nichtdeutscher Herkunft beinahe automatisch mit deren eigener Biografie in Verbindung zu bringen! Das mag an all den quasibiografischen Büchern liegen, die wie etwa Hatice Akyüns „Hans mit scharfer Soße“ wirklich die eigenen, besonderen Lebenserfahrungen aus der „Parallelgesellschaft“ der „Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund“ auch den Eingeborenen zugänglich machen.

Andererseits aber: Migrationshintergrund! Man mag es gar nicht mehr hören. Das Wort trifft einfach nicht

Auch das sind wichtige Bücher. Und auch Sezgin hat bereits ein Buch über das Leben und den Alltag von Deutschtürkinnen verfasst („Typisch Türkin? Porträt einer neuen Generation“, erschienen 2006 im Herder Verlag). Aber nun hat sie etwas ganz anderes gemacht: Sie hat einen Roman geschrieben, dessen ProtagonistInnen in der Realität einer Einwanderungsgesellschaft leben – und dabei alle ihren eigenen Vorurteilen und Klischees immer wieder mal auf den Leim gehen. Auch Mihriban, die ihren Bruder mal mit den Augen islamophober Deutscher, mal mit denen der türkischen Abla, der ihn bemutternden großen Schwester, sieht. Am klügsten ist das Kind in der Geschichte, Mesuts Tochter Suna, die – noch nicht verdreht von all dem Klischeekram – die Motive und das Verhalten der Erwachsenen recht nüchtern analysieren kann.

Nein, Hilal Sezgin hat nicht in Berlin gelebt und hat auch sonst nicht viel mit der Heldin ihres Buches gemeinsam. Und beschreibt dennoch die Vorurteile der türkischen Kreuzbergerin Mihriban gegenüber deutschen Eltern aus dem Bezirk Prenzlauer Berg so treffend, dass man als Berlinerin gar nicht anders kann, als ihr Buch auch als ein Stück Heimatliteratur zu lesen: „Claudi und Michael waren das perfekte Paar von kalter Fisch heiratet glatten Aal, wobei Claudi der Fisch war und Michael der Aal. Beide waren so künstlich höflich zu mir, dass ich sicher war, dass sie noch nie neben einer Türkin unterm Sonnenschirm gesessen hatten und sich sofort in einem anderen Stadtviertel anmelden würden, wenn in Dinas Klasse der Ausländeranteil über soundso viel Prozent stieg.“

Vielleicht ist es ihr „Migrationshintergrund“, der Hilal Sezgins Blick für Themen öffnet, die andere Autoren nicht mit diesem Witz und dieser Genauigkeit angehen könnten. Seien wir dankbar dafür. Hilal Sezgin hat einen Heimatroman aus dem Deutschland von heute – und die erste deutsch-türkische Terrorkomödie verfasst.

Hilal Sezgin: „Mihriban pfeift auf Gott“. Dumont, Köln 2010, 349 Seiten, 16,95 Euro