Fühlst du Schwarzrotgold?

Wenn der „fröhliche Patriotismus“ ein Angebot der Erlebnisindustrie ist, geschieht am Ende das, was die Patrioten am wenigsten wünschen: Die Konsumenten gehen heim und suchen den nächsten Kick

VON ROBERT MISIK

WM-Zeiten sind Sehnsuchtszeiten. Schon Wochen vor dem ersten Anpfiff war es überall zu spüren: das Vorgefühl, diese Weltmeisterschaft müsste doch zu einem geilen Erlebnis, zu einem Spektakel werden, ein wochenlanger Moment des Außergewöhnlichen. Solche Sehnsüchte zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Regel nicht vollends gestillt werden. Heißt: Die WM wird bestimmt eine schöne Sportparty, aber am Ende wird sie doch nur ein Fußballturnier mit Volksfestcharakter gewesen sein.

Der Gemütszustand der übertriebenen Erwartung kann mit einigem Recht als der vorherrschende Habitus des Konsumkapitalismus bezeichnet werden: Essen, ohne satt zu werden; konsumieren, ohne die Konsumbedürfnisse endgültig zu stillen; Sex haben und sich fragen, ob das schon alles war.

Was, wenn sich das anschwellende Gerede über den neuen, fröhlichen Patriotismus in einem vergleichbaren Hangover auflöste? Da wehen schwarzrotgoldene Fahnen aus Fenstern, da flattern schwarzrotgoldene Wimpel am Auto, da malen sich junge Mädchen die Nationalfarben ins Gesicht – schon ist vom Patriotismus mit freundlichem Antlitz die Rede, dass die Deutschen endlich entspannt „für Deutschland“ sein können. Patriotismusexperten reden sich um Kopf und Kragen und Bild-Kommentatoren gestehen ergriffen: „Ich würde die Fahne auch nach der WM gern am Auto dranlassen. Für immer. Für ein ewig tolles Gefühl.“

Was der Verein der Freunde des Patriotismus dabei übersieht: das hat mit all dem, was vernünftigerweise traditionell als Patriotismus bezeichnet wird, wenig zu tun. Das Gemeinschaftsgefühl derer, die für Deutschland sind, unterscheidet sich nicht so sehr vom Gemeinschaftsgefühl, sagen wir, bei einem Open-Air-Festival: „Wir erleben gemeinsam etwas Schönes. Wir haben Spaß.“

Kann man einen „Patriotismus“, der mit seiner verschärften Variante, dem „Nationalismus“ und dessen sublimer Idee von einer „nationalen Mission“, so gar nichts mehr zu tun hat, überhaupt ehrlicherweise noch als „Patriotismus“ bezeichnen?

Beim Patriotismus als Gemeinschaftserlebnis liegt das Hauptgewicht im Erlebnis. In einer Epoche, in der kulturell erlernt ist, weniger Waren zu konsumieren als Erlebnisse zu konsumieren – oder besser: an Waren nicht ihren Gebrauchswert, sondern ihren Erlebniswert –, ist der Patriotismus eben auch nichts anderes als ein Erlebnis, das konsumiert werden kann.

Was konsumiert wird, ist das schöne Gefühl der Zusammengehörigkeit der Fußballbegeisterten, die für „ihre“ Mannschaft sind. Wenn diese Mannschaft ausscheidet, wird sich der Erlebnishunger ein anderes Objekt suchen.

Selbstverständlich wird das „Wir sind das entspannte Deutschland“-Bewusstsein auch kulturindustriell produziert: durch Bilder, die in Umlauf gebracht werden. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob das denn „Propaganda“ für „Deutschlandpatriotismus“ ist oder nicht eher ein Erlebnisangebot der Erlebnisindustrie, deren Geschäft es nun einmal ist, gute Gefühle zu verkaufen – egal ob in der Shopping-Mall, beim Konzert oder eben am Fußballplatz.

Sicher: Dass „für Deutschland sein“ überhaupt ein vermarktbares Erlebnisangebot sein kann, verweist auf eine Entspannung des Selbstbildes der Deutschen – darauf, dass es weitgehend als möglich angesehen wird, dass man als Deutscher für Deutschland sein kann, so wie man als Brasilianer für Brasilien sein kann. Aber das ist nun, 60 Jahre nach Kriegsende, 40 Jahre nach 1968 und nach der Auflösung der „Nation“ in einen Wirtschaftsstandort und eine Verwaltungseinheit im supranationalen Arrangement auch keine allzu große Überraschung mehr.

Wenn der Patriotismus aber ein Angebot im Portefeuille der Event-Kultur ist, dann geschieht am Ende das, was die Patrioten am wenigsten wünschen: Wenn der Event vorbei ist, gehen die Konsumenten wieder nach Hause und halten Ausschau nach dem nächsten Spektakel, das einzigartige Erlebnisse verspricht.

ROBERT MISIK, taz-Autor, betrachtet die WM aus sicherer Entfernung.