SPIELPLÄTZE (2)
: Wo Alice mit AC/DC-Shirt im Wunderland kickt

FUSSBALLGUCKEN England gegen die Vereinigten Staaten in der Bar 24

Ort: Bar 24, Holzmarktstraße 24, neben der Bar 25. Alle Spiele, alle Tore

Sicht: Sehr gut und entspannt. Leinwand: 20 qm. Sitzplätze: 300.

Kompetenz: tendenziell unaufgeregt teilnehmendes Gucken, 34 Prozent unaufgeregte Experten (was sich bei besserem Wetter möglicherweise noch ändert). Frauenanteil 50 Prozent, viele Kinder.

Nationalismus: Eher nicht. Fair geht vor.

Wurst: afrikanisches Essen, sehr lecker; Saté-Spieße, Ofenkartoffeln, Würstchen und so weiter. Der Kaffee ist sehr gut und kostet 2 Euro. Ein kleines Schultheiss kostet 3 Euro. Eintritt für einen Tag auch 3 Euro. (kuhl)

Draußen auf der Straße kippen die Leute um wie Fliegen“, hatte ich Freitagmittag Kollegen in der Redaktion berichtet, obgleich das gar nicht stimmte. In der Kleingartenkolonie „Hand in Hand“ traf sich dann die Tippgemeinschaft „Fliegenfänger“ zum Gucken mit Grillen. O. trug noch ein Korsett, würde bald aber wieder fit sein. Jemand sagte: „Ich bin Edi Glieder.“ Sogleich erkannte ich in ihm den Schalke-Fan: Edi Glieder, die „Paschinger Torkanone“, war 2003 der erfolgloseste Stürmer, der je für Schalke gespielt hatte. Im Fernseher hatte Südafrika schon angefangen, gegen Mexiko zu spielen. Beamer- und Fernseherton waren leicht verschoben, was den psychedelischen Effekt der Vuvuzelas verstärkte.

In den achtziger Jahren gab’s Public Viewing nur in Eckkneipen; lesende Fußballgucker galten als Sonderlinge. und der französische Torwart schrieb Gedichte. Später am Abend sah es recht schön aus, als dieser französische Spieler Mitte der ersten Halbzeit zwei hellblaue Luftballons zertrat, die aufs Spielefeld geflogen waren.

Den Samstag verbrachte ich in der von der Bar 25 betriebenen Bar 24. Vor vier Jahren hatte hier das White Trash seinen Fußballguckstrand gehabt. Auf dem Weg war mir eine Gruppe gut gelaunter Engländer begegnet. Einer hatte ein T-Shirt mit einem blutigen Fußballerkopf drauf getragen, unter dem „Weekend Offender“ stand. Das Gelände sah gut aus. Im Zentrum stand so ein favelamäßig gebasteltes Schloss mit hübschen Spirenzien und einer Königsloge. Außerdem Beachvolleyballplatz, Sauna, zwei Bars, ein Schachfeld ohne Figuren, ein kleines Fußballfeld vor der Hightech-Leinwand, auf dem kleine Kinder kickten. Ein vielleicht dreijähriges Mädchen trug ein AC/DC-T-Shirt. Das Stadion war halb voll, die Atmosphäre locker. Man schaute eher beiläufig und aß lecker Essen. Die Aschenbecher waren auch ganz schick.

Abends bei England gegen die USA waren die Ränge gut gefüllt. Im Abendlicht sah das Gelände noch besser aus. Tendenz, wie bei der Bar 25 ja ohnehin schon: Alice im Wunderland. Man schaute aufmerksam, ohne viel Lärm zu machen, bis ein Mann sich mit seiner USA-Fahne vor den Zuschauerrängen aufbaute und laut „USA, USA!“ rief. Manche machten mit, manche buhten, irgendwann hörte er damit wieder auf. Erst kam mir der Mann ein bisschen ausgedacht vor; später, als ich ihn im Gespräch mit anderen beobachtete, schien er ganz nett zu sein.

Die letzte Viertelstunde des Spiels hielt es mich nicht mehr auf dem Sitz. Mich hatte das Fifa-Fieber gepackt. Stehend – so meine Vorstellung – könnte ich auch besser Einfluss auf das Spiel nehmen. Dass Steffi, die neben mir saß, für England war, während ich auf seiten der USA das Unentschieden unbedingt halten wollte, spielte wohl auch eine Rolle. Außerdem hatte ich ja auch auf Unentschieden getippt.

DETLEF KUHLBRODT