Allein auf weiter Flur

Die Fotoausstellung „Work Places/Arbeitsplätze“ im Hamburger Museum der Arbeit erkundet Orte der modernen Arbeitswelt: von Helsinki bis San Francisco, von Reykjavik bis Damaskus, von asiatischen Boomtowns bis zu den norddeutschen Landen– und zeigt das Elend des Menschen ohne Spiel

Zusammen arbeiten, zusammen, lächeln – auf ihren Lippenliegt der Satz: „Wir sind ein Team“

Von Maximilian Probst

Hat man einen oder hat man keinen – die klassische Kastrationsfrage bekommt heute einen neuen Sinn. Denn sie entscheidet nicht mehr das Geschlecht, sondern den Sozialstatus: An die Stelle von männlich / weiblich tritt die von der Arbeitswelt sanktionierte, geschlechtslose Unterscheidung nützlich / überflüssig, dazugehören / außen vor bleiben. Steht man durch glückliche Fügung nicht auf der Seite der Abgeschriebenen, leidet man unter der steten Kastrationsdrohung des Systems: Wer einen hat, kann ihn verlieren, von heute auf morgen. Motivationsmaximierung könnte man das auch nennen. Schließlich ist es nicht so einfach, den Menschen zur Arbeit anzuhalten, wenn der Stand von Wissenschaft und Technik ihn dieser Notwendigkeit enthebt.

Tragigkomisch muten deshalb die Fotografien an, die im Rahmen der Ausstellung „Work Places/Arbeitsplätze“ im Museum der Arbeit den schicksalsträchtigen Ort in den Blick nehmen. Die Bilder – im Jahr 2005 prämierte Arbeiten des Europäischen Architekturfotografie-Preises – reflektieren das Schwinden des Menschen aus einer immer abstrakteren, kühleren Arbeitswelt. Ob in Helsinki oder San Francisco, Zürich oder Athen: Wenn er auf den Bildern überhaupt noch auftaucht, dann nicht als Akteur, sondern als Statist.

Anschaulich wird das in den Industriearbeitsplatz-Bildern von Henrik Spohler: Halb montierte Autos schweben durch die Luft, Siemens-Apparate reihen sich in einer Halle, ein leerer Flur, alles in einem stechend hellen Weiß; Orte, die den Charme einer Tiefkühlkiste ausstrahlen. Eine ähnliche Eisfach-Ästhetik vermitteln Koen van Dammes Innenbilder belgischer Bankgebäude. Hier dominieren nicht die Apparate, sondern die architektonischen Strukturen. Die aber sind von einer Strenge und von einem Glanz, dass die Personen darin isoliert, wenn nicht völlig fehl am Platz erscheinen.

Apparate und Ordnung: auf immer neue Weise erzählen die Bilder, wie der Arbeitsplatz davon bestimmt wird – und zeigen damit, dass der Mensch nicht sehr verlässlich ist in der modernen Welt. Er wird degradiert zum Handlanger der Maschine oder zum Hüter geregelter Struktur. Wehe dem, der mehr erwartet.

Diese Unwirtlichkeit des Arbeitsplatzes ist der gemeinsame Nenner der gesamten Ausstellung. Ob nun Hafenarbeiter auf den leeren Horizont des Meeres blicken, Bauarbeiter nachts Abrissbaggern im Licht von Scheinwerfern zuschauen, ein Wachposten sein Leben zwischen Sandsäcken und Stacheldraht einrichtet, Chinesen auf leichten Brettern an der gigantischen Mauer eines Staudamms kleben oder Gärtner auf Schienen völlig verloren durch überdimensionierte Gewächshäuser rollen – man möchte nicht an ihrer Stelle sein. Als Sinnbild der Ausstellung bietet sich darum ein Foto an, das auf den ersten Blick vollkommen aus dem Kontext fällt: Ein frierendes Schwein, allein auf weiter Flur.

Die einzige Ausnahme scheinen da die Bilder eines Großraumbüros zu sein. Die gesamte Belegschaft hat sich auf den vier Etagen der Galerie zum Innenhof versammelt. An die hundert Strahlemänner und Frauen. Jacketts und Blazer haben sie übers Geländer oder salopp über die Schulter gehängt. Ausnahmslos dunkle Anzughosen, zwischen weißen Hemden finden sich einige blaue. Keiner ist älter als 42, aber auch keiner jünger als 38. Sie arbeiten zusammen, sie feiern zusammen. Sie lächeln zusammen und auf ihren Lippen liegt der Satz: „Wir sind ein Team“.

Nur ist das ganze ein Bild, ein auf Anordnung des Fotografen entstandenes Bild. Und zeigt darum etwas anderes: nicht die Demonstration von Gemeinschaft, sondern deren Simulation. Es deckt den Mechanismus von Großbüros auf: auf einen Wink zusammenkommen, auf einen Wink dasselbe tun, auf einen Wink abtreten – und als Gewinn ein diffuses Gefühl von Zugehörigkeit mit in den Arbeitstag hinüberretten. Anders würden die anhaltenden Positionierungskämpfe in einer Welt aus Glanz und Kapital wohl gar nicht auszuhalten sein. Die Einsamkeit auch hier.

Niedergedrückt vom Ernst des Lebens kommt man aus der Ausstellung heraus. Die einen werden sich fragen, ob es nicht besser wäre, ihren Job an den Nagel zu hängen. Die anderen werden sich vielleicht glücklich schätzen, erst gar keinen zu haben.

Die Ausstellung „Work Places / Arbeitsplätze“ läuft bis zum 20. August im Museum der Arbeit.