EIN LOB AUF DIE GURKE
: Geheult und gelacht

Ich flickte und pflegte es, fuhr damit bei Regen und bei Schnee

Es war zu Beginn dieses Jahrtausends. Mein Fahrrad war gerade geklaut worden, und ich brauchte dringend ein neues. Ich lief durch die Oranienstraße und sah aus den Augenwinkeln in einem Schaufenster eine Gurke. Die Gurke klemmte auf dem Gepäckträger eines einfachen schwarzen Fahrrads, darauf ein Schild: „Kiezgurke 199 Euro“. Eine Gangschaltung war nicht vorhanden. Gut, dachte ich, die paar Erhebungen in dieser Stadt lassen sich auch ohne bewältigen.

Fünf Jahre später hätte ich es nicht mal mehr anschließen müssen, niemand hätte es gewollt. Ich fuhr länger als zehn Jahre mit diesem Rad. Ich flickte und pflegte es, ich bin bei Regen damit gefahren und bei Schnee. Ich habe darauf gelacht und darauf geflucht und darauf geheult. Ich fuhr meine Kinder darauf herum, ich fuhr in Brandenburg von Niederfinow nach Hohenfinow, was nicht ganz gelang. Ja, gut, da, ein einziges Mal, musste ich es schieben. Vor ein paar Tagen machte es endgültig schlapp. Einige Zähne des vorderen Kranzes waren abgebrochen, die Kette hing traurig. Ich kaufte mir ein neues Fahrrad. Es sieht irre gut aus, dazu ein Schloss, das jeden potenziellen Dieb zusammenzucken lässt. Seitdem fahre ich doppelt so schnell und erreiche alles, was ich erreichen will, nur bin ich verschwitzt.

Neulich war ich auf einer kleinen Geburtstagsfeier und wir tranken Gin Tonic mit Gurke. H. bestand darauf, in jedes Glas mindestens zwei dünn geschnittene Scheiben zu legen, bevor sie das Getränk darüber tat. „Melone“, sagte H., „das schmeckt wirklich nach Melone!“ Wir machten dümmliche Bemerkungen. H. sagte sehr ernsthaft: „Die Gurke ist ein unterschätztes Gemüse!“ Sie hielt das Schneidebrett in der einen, das Messer in der anderen Hand. Innerlich nickte ich und dachte an alle Salate, die ich je zubereitet hatte. Wir tranken, und es schmeckte nach Melone. Ich dachte an mein altes Fahrrad und sagte: „Ja!“ BJÖRN KUHLIGK