Ein früher Versuch der Selbstbefragung

FILM Mit dem Abstand von 30 Jahren ist heute Gerd Conradts Doku „Über Holger Meins – Ein Versuch, unsere Sicht heute“ zu sehen

„Er hat so selten gelacht“, sagt eine ehemalige Mitbewohnerin 1982 über Holger Meins, der 1974 in der Justizvollzugsanstalt Wittlich in Nordrhein-Westfalen an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben ist. In den sechziger Jahren hatte Meins zu einem bestimmten Milieu in Berlin gehört: alternativ, filminteressiert, politisiert. Anders als die meisten ging er in den Untergrund, wurde Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe – und starb drei Jahre vor dem „Deutschen Herbst“.

Er hinterließ eine Szene, die sich durch seinen radikalen Weg herausgefordert fühlen musste: „Sein Weggehen war Kritik.“ Und er hinterließ einen Vater, der mit den deutschen Behörden nur schlechte Erfahrungen gemacht hat. Das ist in etwa die Konstellation, aus der heraus 1982 der Film „Über Holger Meins – Ein Versuch, unsere Sicht heute“ von Gerd Conradt entstand, eine biografische Rekonstruktion, die zugleich Selbstbefragung ist. Und ein früher Versuch, den von allerhand Opfersymbolik umgebenen Tod von Holger Meins zu entmythologisieren, ohne die Verantwortlichen deswegen aus ihrer Schuld zu entlassen.

Conradt, der 1966 zum ersten Jahrgang an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) gehört hatte, in dem auch Meins vertreten war, hat sich wiederholt filmisch mit seinem Freund und Kommilitonen beschäftigt. 2001 kam „Starbuck – Holger Meins“ heraus, das unmittelbarere Dokument ist aber der Film aus dem Jahr 1982.

Darin wird anhand von sehr interessanten filmischen Ausschnitten noch einmal der Weg von Holger Meins nachgezeichnet, und Wilhelm Julius Meins, der zu diesem Zeitpunkt schon lange verwitwete Vater, kommt ausführlich und voller Empathie für den Sohn zu Wort. Er führt konkrete Anklage: „Sie haben Holger verhungern lassen wollen.“ Und er zeigt einige der Bilder her, die Holger Meins während seines Kunststudiums in den sechziger Jahren gemalt hat, etwa eines „nach Woyzeck“.

Momentaufnahmen

In Berlin kam Holger Meins in eine Szene, die inzwischen relativ gut überliefert ist. Aber auch vor diesem Hintergrund ist eine Momentaufnahme wie die, in der der dffb-Kommilitone und Meins-Freund Günter Peter Straschek in einer Wohnküche das Wort führt, während Holger Meins im Hintergrund nur gelegentlich etwas einwirft, von kaum zu überbietender Signifikanz. Holger Meins ließ sich auf den Theoriedruck, der damals herrschte, ein, er wurde selber zu einem „Chefideologen“, wie es zwischendurch heißt. Über „Rausch und Revolution“ wird in diesem Zusammenhang eher doziert.

Es fehlte Meins aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur wohl die Möglichkeit, etwas lebensweltlich aufzulösen, eine Möglichkeit, die in den Videobildern des Films nur zu deutlich wird und für die Gerd Conradt neben vielen anderen auch steht: eine Vermeidung schlechter Unbedingtheit. Wenn eine der erzählenden Frauen erwähnt, dass Meins „manchmal drei Tage nicht aus dem Zimmer kam“, dann deuten sich auch depressive Phasen an, ein weiteres Motiv von Unerreichbarkeit. Aufnahmen von dem berühmten Festival in Knokke 1967, bei dem die Filmemacher ein Plakat mit der Parole „The FLN is the Jury“ enthüllten (also einen Filmwettbewerb zum Teil der Befreiungskämpfe in der Dritten Welt machten), zeigen Meins keineswegs als einen, der sich nach vorne drängt und sofort mit dem Ruf „Faschisten“ jeden Versuch, das Protokoll zu wahren, zu einem totalitären Akt erklärt.

„Über Holger Meins – Ein Versuch, unsere Sicht heute“ ist, nicht zuletzt aufgrund der stark zeitgebundenen Video-Ästhetik, ein äußerst interessantes Dokument aus der langen Evolution der Studentenbewegung. Gerd Conradt wird bei der Präsentation des Films heute am Mittwoch im Lichtblick-Kino anwesend sein. BERT REBHANDL

■ „Über Holger Meins – Ein Versuch, unsere Sicht heute“. Mit Regisseur Gerd Conradt, heute, 20 Uhr, im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77