HIER TUMMELN SICH DIE BURNOUT-BEDROHTEN DES MITTELSTANDS: GANZ SCHÖN GRUSELIG, SO EIN WELLNESS-HOTEL
: In den Fluren singen sacht die Wale

MARTIN REICHERT

Auf dem Zauberberg der Gegenwart trägt man einen weißen Bademantel, zahlt mit Kreditkarte und schlappt durch die Lobby in Richtung Spa. Hier, im Wellness-Hotel, versammeln sich nicht die Lungenkranken der obersten Kasten, sondern die Burnout-Bedrohten des Mittelstands. Das an der Rezeption ausliegende Gästebuch spricht Bände:

„Ich danke Ihnen für die wundervollen Tage hier in Ihrem Hotel, in denen ich wieder zu mir finden konnte.“ „Es war so schön.“ „Dieser Aufenthalt bei Ihnen hat mich gerettet. Danke.“

Dieser Ort ist keine Klinik und das Personal misst keinen Puls. Es säuselt vielmehr freundlich um einen herum, reicht Frotteehandtücher, die nach Lotusblüte riechen und so groß sind wie ein Jollensegel. In den Fluren singen sacht die Wale, Panflöten tirilieren sogar in der Tiefgarage – und Krach macht nur die Hoteldirektorin, die High Heels trägt und dem Gast ein Glas Sekt reicht mit den Worten: „Gegen Abend soll die Sonne scheinen.“ Ja dann.

Liegt man am Rande des auf 28 Grad geheizten Pools, blickt man in die Dünen. Zu hören ist nur das Gluckern des Wassers, denn niemand käme hier auf die Idee, eine Arschbombe zu machen: Der Informationsschrift des Hotels ist zu entnehmen, dass das Betreten des SPA-Bereichs erst ab 16 Jahren erlaubt ist. Sollte jemand doch auf die Idee kommen, seine Kinder mitzubringen, werden diese in das benachbarte Hotel deportiert, das über einen eigenen Kinderbespaßungsbereich verfügt. Hunde sind ebenfalls nicht erlaubt und müssen auf dem Zimmer verbleiben. „Des Weiteren möchten wir Sie bitten, vom Gebrauch ihrer Mobiltelefone Abstand zu nehmen und möglichst nicht zu rauchen.“

Des Nachts, begraben unter Daunen im King-Size-Bett, stört eigentlich nur die Ostsee, die durch das geöffnete Fenster jahreszeitbedingt etwas lauter rauscht, brandet und dünt als im Sommer. Sicher wird in diesen stürmischen Nächten der Bernstein angeschwemmt, aus dem die Hotel-Alchimisten das heiße Öl bereiten, mit dem man zuvor ausgiebig massiert worden war.

Statt salzarmen Haferschleims wartet am Abend ein Fünf-Gänge-Menü auf die Mühseligen und Beladenen, die nun ihre Bademäntel gegen hochwertige Freizeitkleidung getauscht haben. Man grüßt einander dezent – schließlich saß man eben noch nebeneinander in der Dampfsauna. Das Wellness-Schweigegelübde darf nicht gebrochen werden. Der Hotelpianist gibt erlesene Fahrstuhlmusik zum Besten, während die „Feuilles von der Jakobsmuschel gereicht werden“.

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Meike Laaff

Nullen und Einsen

Montag

Josef Winkler

Wortklauberei

Dienstag

Jacinta Nandi

Die gute Ausländerin

Mittwoch

Matthias Lohre

Konservativ

Und dann ertönt der Schrei: „Aaaaaaahhhhhhhhhhhhhhh“. Plötzlich zerreißt der hauchdünne Firniss des Wohlbefindens. Die schmerzerfüllte Klage eines Menschen ist wie ein dunkler Fleck auf dem hellbeigen Klangteppich der postesoterischen Entspannungskultur. Die Gäste sehen einander erschrocken an.

Der Barmann hatte sich bloß einen Korkenzieher in die Hand gerammt. Aber eigentlich war allen sofort klar, dass es Mord gewesen sein musste. Wo, wenn nicht hier? Hoffentlich wird der arme Junge nicht entlassen.