Weihnachten im Hostel

ALLE RAUS! Die maroden Esso-Häuser an der Hamburger Reeperbahn sind am Wochenende evakuiert worden. Nun sind rund 100 Bewohner obdachlos und der Bezirk rätselt, wie es dazu kommen konnte. Dem Investor kommt die Räumung derweil sehr gelegen

„Es muss auch wirtschaftlich für uns sein“

DER KÄUFER BAYERISCHE HAUSBAU WILL NUR BEDINGT IN DEN NEUBAU VON SOZIALWOHNUNGEN INVESTIEREN

AUS HAMBURG MARTA POPOWSKA

Als die Polizisten am Samstag gegen 22.30 Uhr an ihre Tür pochen, schläft Monika Secka bereits. Sie habe 30 Sekunden, um sich anzuziehen und das Haus zu verlassen, sagt man ihr. Dann geht es raus in die Dezemberkälte. Mit der Räumung der Esso-Häuser an der Reeperbahn endet ein Kapitel über den langjährigen Streit über Sanierung und Abriss der Hochhäuser auf dem Hamburger Kiez. Dem Investor, der Bayerischen Hausbau, spielt die Evakuierung in die Karten – nun sind die Chancen, dass seinem Abrissantrag vorzeitig stattgegeben wird, gestiegen. Zunächst in den Hintergrund rücken dürfte die Frage nach der Verantwortung für die jüngsten Ereignisse. Schnelle Hilfe für die knapp 100 obdachlos gewordenen Bewohner ist jetzt das drängendste Problem.

Das Drama vom Wochenende hat eine längere Vorgeschichte: Im Juni hatte ein Gutachten der Hamburger Architekten Dittert und Reumschüssel gravierende Mängel an der Bausubstanz festgestellt. Daraufhin wurde die Tiefgarage gesperrt und mit 1.600 Stahlpfeilern stabilisiert. In der Nacht zum Sonntag riefen nun zwei Mieter bei der Polizei an. Sie hatten Erschütterungen vernommen, woraufhin die Wohnungen und Lokale sofort geräumt wurden. „Es ist ein Skandal, dass die Häuser in diesen Zustand kommen konnten“, sagt Steffen Jörg von der Esso-Häuser-Initiative, die sich an der Seite der Mieter für den Erhalt der Häuser eingesetzt hatte. Das Gutachten habe sehr deutlich nachgewiesen, dass der Zustand der Häuser auf fehlende Instandsetzung zurückzuführen sei, „die sowohl über Jahrzehnte vom Vorbesitzer als auch in den letzten vier Jahren von der Bayerischen Hausbau verursacht worden sind“.

Als die zur Schörgruber Unternehmensgruppe gehörende Bayerische Hausbau den Gebäudekomplex samt Tankstelle 2009 kaufte, waren die Häuser aus den 1960er Jahren bereits marode. „Sie wussten, was sie da kaufen, und sind auch dafür zur Verantwortung zu ziehen“, sagt Jörg. Die Bayerische Hausbau bezahlte der Familie Schütze, dem Vorbesitzer, rund 19 Millionen Euro für den Komplex. Dass man abreißen und neu bauen möchte, daraus machten die Investoren keinen Hehl. Und saniert wurde in der Zwischenzeit derweil – nichts.

Die Bayerische Hausbau stellte den Mietern zwar ein Rückkehrrecht in Aussicht, knüpfte dieses jedoch an die Bedingung, nach eigenen Wünschen bauen zu dürfen. Die Gewerbefläche soll von 2.400 auf 5.000 Quadratmeter erweitert werden. Geplant sind außerdem 240 Wohnungen, von denen ein Drittel öffentlich gefördert sein soll. Ängste der Bewohner, dass ihnen dieses Versprechen nun verwehrt bleiben könnte, entkräftete Investoren-Sprecher Bernhard Taubenberger gegenüber der taz: „Das Rückkehrrecht an sich steht, ohne Wenn und Aber.“

Ein größeres Kontingent an Sozialwohnungen, wie es der Bezirk forderte, lehnt die Bayerische Hausbau jedoch ab. „Es muss auch wirtschaftlich für uns sein“, erklärt Taubenberger. Eine Lösung mit dem Bezirk auszuhandeln, darin sieht Taubenberger nun die große Herausforderung.

Der Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Andy Grote (SPD), hatte während einer Informationsveranstaltung Mitte August verkündet, dass der Investor einen Abrissantrag gestellt habe. Grundsätzlich stand auch die Stadt hinter einem Neubau. Aktuell war der Bezirk allerdings noch dabei, den Antrag zu prüfen. In jedem Fall sollten die Mieter zum 1. Juli 2014 raus sein. Nun könnte früher abgerissen werden. „Realistisch ist das erste Quartal 2014“, sagt die Pressesprecherin des Bezirks Mitte, Sorina Weiland. Laut Weiland ging aus dem Gutachten nicht hervor, dass der Zustand so kritisch sei. „Die Ursache, warum das jetzt eskaliert ist, kann nicht mehr geklärt werden“, sagt sie. Seit gestern ist klar: Die Häuser bleiben unbewohnbar. Statiker haben weitere Risse in der Tiefgarage gefunden.

Der Bezirk sucht nun nach Wohnungen für die Mieter. Monika Secka wird Weihnachten bei Bekannten verbringen. Für sie steht erst im Januar eine Wohnung bereit. Andere werden erst mal in Hotels bleiben – die Kosten dafür übernimmt die Bayerische Hausbau.