IRGENDWAS IST LOS DA OBEN
: Stummes Starren

Auch er schaut nun nach oben, irgendwas muss da ja sein

Sie starren jetzt schon eine ganze Weile in die Luft. Ich warte auf die Straßenbahn, natürlich, warum sollte ich das Rentnerpärchen inmitten dieses Trubels sonst bemerkt haben.

Während sich die Massen hektisch über den Alexanderplatz schieben und eine Gruppe minderbegabter Breakdancer versucht, die weiblichen Klassenfahrtteilnehmer aus Nordrhein-Westfalen zu beeindrucken, sind sie die einzige Konstante. Stumm stehen die beiden da und schauen in den Himmel. Ab und an bleibt jemand stehen und schaut ebenfalls in die Luft, aber außer dem Fernsehturm ist da nicht viel zu sehen.

Ein McDonald’s-Mitarbeiter gesellt sich zu mir an die Haltestelle, es riecht jetzt nach Fett und Zigaretten. Er genießt seine Pause offenbar in vollen Zügen. Aber auch er schaut nun plötzlich nach oben, irgendwas muss da ja sein. Wir sind also bereits zu viert und werden immer mehr. Wer hier wartet und jetzt nicht mehr nach unten auf sein Smartphone schaut, blickt immer wieder verstohlen nach oben, das kann doch nicht sein, da muss doch irgendwas vor sich gehen.

Ich werde langsam ärgerlich und beginne, die Wolken zu betrachten, vielleicht werde ich ja daraus schlau, ich lass mir doch von der Realität nicht vorschreiben, was ich wahrnehme. Wenn es nichts zu sehen gibt, bilde ich mir eben etwas ein. Aber bis auf eine Wolke in Form einer Schildkröte erscheint da nicht viel.

Vielleicht sind die beiden ja auch Teil einer Kunstinstallation, das muss es sein, eine clevere Aktion eines Kunststudenten, „Die Rentner von heute – Sky is the limit“ oder so.

Da kommt plötzlich Bewegung in den Vorgang.

„Nein, nein“, sagt die Frau und schaut nun ihren immer noch in die Luft starrenden Gatten an. „Der Fernsehturm dreht sich nicht. Da haben uns die vom Reisebüro Quatsch erzählt.“

JURI STERNBURG