Alles unter Kontrolle der Polizei

Hurendemo zu Beginn des Kiez-Prozesses um die Zuhältergruppe von Carsten Marek. Den Loddels wird Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Verteidigung fordert Einstellung des Verfahrens wegen polizeilicher Mitwirkung

Der Vorsitzender Richter Gerhard Schaberg zeigt sich von der Kulisse beeindruckt, wenngleich auch ein bischen irritiert. „Meistens ist es ja so, dass Frauen froh sind, den Mann loszuwerden“, frotzelt er. Zuvor hatten rund 50 Prostituierte zu Beginn des Kiez-Prozesses um die Marek-Gruppe vor dem Strafjustizgebäude teilweise in Arbeits-Outfit für die Freilassung „unserer Männer“ demonstriert. „Liebe und Lust sind frei – wir brauchen kein Gericht dabei“, war auf auf Transparenten zu lesen. Oder: „Stoppt die Justiz – Freiheit für den Kiez“.

Seit gestern müssen sich Kiez-Boss Carsten Marek und neun seiner Manager vor dem Landgericht wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung, Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung und Zuhälterei verantworten. Marek ist zudem der Rädelsführerschaft angeklagt. Die „Hamburger Jungs“, wie sich die Marek-Gang auch nennt, hat mehrere Bordelle und Steigen auf dem Kiez rund um die Herbertstraße betrieben, und soll laut Anklage seit 2000 koordiniert und auf gemeinschaftliche Rechnung gearbeitet haben. Dabei sollen sie bei den Huren abkassiert, Frauen unter 21 Jahren zur Prostitution „gebracht“ oder bei „Regelverstößen“ den Frauen Gewalt angedroht oder im Einzelfall auch angewendet haben.

196 Prostituierte listet die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf, penibel mit den Daten ihrer Tätigkeit in den jeweiligen Etablissements versehen. 43 Verhandlungstage hat das Landgericht angesetzt, 100 Zeugen sollen gehört werden. Die Angeklagten schweigen zur Anklage. Ein Verfahren gegen 15 Wirtschafter der Marek-Gruppe wegen einer missglückten Bestrafungsaktion endete im Mai mangels Beweisen mit Freispruch.

Und auch dieser Prozess steht und fällt mit dem Aussageverhalten der Zeugen. Zudem fahren die zwei Dutzend Verteidiger gleich schweres Geschütz auf, fordern die Einstellung des Verfahrens wegen eines „Verfahrenshindernisses“: „Sämtliche Arbeitsabläufe waren der Polizei seit Jahren bekannt, waren von der Polizei abgesegnet und unterstützt worden“, erläutert Verteidiger Andreas Thiel. Die „gewerblichen Bordellbetriebe“ hätten der ständigen Beobachtung von Milieufahndern unterlegen, die turnusmäßig zum Teil alle zwei oder vier Wochen die Etablissements inspiziert hätten. 364 Prüfungen habe es gegeben, so Thiel, ohne gewerbliche oder strafrechtlich Beanstandungen. „Die Betriebe durften von einem ordnungsgemäßen Ablauf ausgehen, der auf polizeilicher Kontrolle und Mitwirkung basiert“.

Wenn die Polizei jahrelang einer vermeintlichen kriminellen Vereinigung tatenlos zuschaue, könne sie nicht rückwirkend Strafverfolgung geltend machen, so Thiel weiter. „Der Staat hat seinen Anspruch auf Strafverfolgung verwirkt.“ PETER MÜLLER