Der männliche Blick
: Der Niedliche und das Biest

Als er gegen Australien eingewechselt wurde, war ja eigentlich alles entschieden. Dennoch – und das macht seinen Unterschied zu seinem Mannschaftskollegen Mario Gomez aus – fiel Marko Marin allein schon deshalb auf, weil er, eben in Aktion, so quirlig, so klein und knuffig aussah. Alle anderen hatten etwas von Recken: Marin, der gebürtige Bosnier und bekennende Deutsche, hat etwas von einem freundlichen, leicht aufgedrehten Teddybär. Seine Knopfaugen unterstreichen diese physisch nahegelegte Wesensart, er guckt wie ein großer Bruder, der seiner kleinen Schwester das Fahrradfahren beibringt, und das mit unendlicher Geduld. Marin, gerade 21 Jahre jung, der Dribbler unter seinen Kollegen, der Streichler am Ball, der Mann der gewinnenden Zweikämpfe, unterscheidet sich vom nicht minder kleinwüchsigen Berti Vogts durch das Fehlen jeglicher Terrierhaftigkeit, ohne dass ihm das als Winseln oder Untertänigkeit ausgelegt werden könnte. Er verdient gleich zum Auftakt dieses Turniers in die Hall of Fame der WM-Sexyness aufgenommen zu werden. Er verströmt eine Männlichkeit, die auf Schmusigkeit setzt, aus der heraus, man betrachte sein Spiel, sich eruptiv-elegante Leidenschaft entwickeln möchte. Ja, Marin ist der Mann, der auf dem iPod Heavy Metal hört, aber in verliebten Momenten irgendwie zu beteuern weiß, einige Downloads in Sachen Katie Melua getätigt zu haben – um die Seele baumeln zu lassen, wie er sagen könnte.

Von anderem Holz ist da der glühende Freund des Duce unselig, Daniele de Rossi vom AS Rom, der sich nicht nur nicht schämt, von faschistisch inspirierten Fans angefeuert zu werden, sondern darauf gar stolz ist. Dieser Italiener gehört in unser Staralbum in auratisch-erotischer Hinsicht, weil er den konservativen, eichenen Typus Mann dieser WM so ehern wie kein anderer auszufüllen weiß. Er misst 184 Zentimeter Körperlänge und sieht aus, als bestände sein Körper nur aus Kampfesmuskeln – das deutet auf eine identitäre Schwäche als Mann hin. Dieser Mann weiß sich seiner selbst als Penisträger nicht sicher, trivialerweise und eventuell aus Gründen mangelnder Opulenz. Neuerdings, so sahen wir es bei seinem Treffer zum 1:1 gegen Paraguay, trägt er die Haare leicht gelängt, im Gesicht einen Bart – aber diese Verweichlichung täuscht – ein öder Rabauke bleibt er, satt und rund. Doch ein guter Kicker sollte nie Fascho sein – männliche Gebrochenheit muss sich modern anders ventilieren.

JAN FEDDERSEN