Unverhofft werden wir zu Fans

Kroatien. Wie soll es da funken?

Keine Verwandtschaft, keine Freunde, keinen Urlaub dort verbracht. Kroatien hat aus Berliner Sicht für einen Flirt nur eine Chance: nein, nicht Ex-Hertha-Kovac, sondern das Café King am Ku’damm, die Kneipe der Sapina-Brüder, die seit dem Wettskandal auch und vor allem touristisch erschlossen ist. 200.000 Kroaten hätten sich angekündigt bei ihm, dem Chef Milan Sapina, wie er noch vor einem halben Jahr behauptete. 200.000, das hieße: Party. Und das heißt ja: WM, oder? Kroatien. Okay.

Auf dem Kunstrasen vor dem King sitzen vier Männer in ihren rot-weiß karierten Trikots, trinken Bier, rauchen, schweigen. Ab und an nuschelt einer diskret in sein Handy. Drinnen sitzen viele Männer in ihren rot-weiß karierten Trikots, einige haben zu ihrer Rechten Mädels in rot-weiß karierten Trikots platziert. Sie trinken Bier, reden, die Frauen kichern. Im Fernsehen sitzen und reden Netzer und Delling, lautlos. Der Ton der drei Fernseher (Plasma!) ist bis kurz nach Spielbeginn stumm gestellt, dafür dröhnt Popgedudel.

Gut fünfzig Kroaten sind im King. Die restlichen 199.950 feiern am Brandenburger Tor. Oder im Stadion. Stimmung? Vielleicht mal ein Bier.

Als die Nationalhymne ertönt, steht ein bulliger Rot-Weiß-Karierter mit grauen Glatzenstoppeln auf und singt, Hand auf Herz. Dann verstummt die Kneipe. Nur zweimal brüllen die Männer ein „Bravo“. Dafür redet Reinhold Beckmann. Und die Mädels kichern.

Bis das Tor fällt. Gegen Kroatien. Ein paar Männer schlagen mit der Hand hart auf den Tisch. Dann ist es wieder still. Halbzeitpause.

Es ist das T-Shirt einer Kellnerin, das noch hoffen lässt. Ein Spruch, der verheißt, dass es an diesem Abend doch noch funken wird: „Why be normal?“ steht über ihrer Brust. „Be Croat“ auf ihrem Rücken. Hey, Croatia!

Wiederanpfiff. Und es passiert. Der Fernsehkanal heißt nicht mehr ARD, sondern HRT. Zwei kroatische Kommentatoren kommentieren ohne Pause, die Rot-Weiß-Karierten auf dem Platz stürmen, die Männer im King schimpfen. Ein Kroate aus Leipzig vergisst die gedippten Kartoffelwings in seiner Hand – die Ventilatoren surren. Toooor? Kein Tor. Tooooor?? Wieder keins. Tooooooooor??!!!! Shit. Da ist es passiert: In diesen Schlussminuten des Spiels gibt es nichts, aber gar nichts, was ich mir mehr wünschen würde, als ein: Tooooooooor! Für Kroatien.

Wie gerne würde man jetzt, mit diesen verbissen auf den Monitor starrenden Rot-Weiß-Karierten, jubeln. Only for the show. SUSANNE LANG