Seine letzte Krise

Weil ihn der Hauptaktionär nicht mehr will, muss der Chefredakteur der französischen Zeitung „Libération“ Serge July nach 33 Jahren Dienst gehen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Bei Libération rollt ein historischer Kopf: Serge July – Mitgründer und seit 33 Jahren ununterbrochen journalistischer Chef des Blattes. Herausgeschmissen hat ihn ausgerechnet jener Mann, den er selbst im vergangenen Jahr wegen 20 Millionen Euro geholt und zum Hauptaktionär von Libération gemacht hat. „Edouard de Rothschild hat mich gebeten zu gehen“, erklärte July am Dienstag vor einem eisig schweigenden Redaktionskomitee. July fügte hinzu, er hoffe, dass sein Abgang sowie der seines letzten Managers den Weg für die dringend nötige weitere Aufstockung des Kapitals öffne.

Seither herrscht Katastrophenstimmung in den Redaktionsräumen am Pariser Place de la République. Die Gesellschaft der Redakteure von Libération reagierte gestern mit einer Erklärung auf der Seite eins. Es ist keine leidenschaftliche Unterstützungserklärung für July, der hausintern umstritten war, sondern eine Beschwörung der Zukunft des einstmals revolutionären Blattes. In dem Text ist vom „Geist des Widerstands gegen politische Interessen“ die Rede sowie von der „Unabhängigkeit und Freiheit“ der Journalisten, die Teil des „Aktionärspaktes“ von Libération sei.

Hauptaktionär de Rothschild – gegenwärtig 38 Prozent des Kapitals, Tendenz: steigend – interpretiert diesen Pakt ganz anders. In den vergangenen Monaten war der Bankier verärgert darüber, dass er in publizistischen Fragen vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Beim letzten Treffen des Verwaltungsrats am 31. Mai beklagte er, dass er nicht an den Vorbereitungen für die kürzlich lancierte Medienbeilage „Ecrans“ beteiligt war und dass die Zeitung ihren Verkaufspreis erst im kommenden September erhöhen will.

Nach dem Einstieg de Rothschilds im April 2005 hat sich die wirtschaftliche Lage der Libé weiter verschlechtert. Die Auflage des Blattes ist auf unter 135.000 Exemplare pro Tag gesunken. Verantwortlich dafür ist unter anderem die Konkurrenz von zwei Gratisblättern in Paris. Im vergangenen Jahr machte Libération 14 Millionen Euro Verluste.

July, 63, hat die Libé quer durch alle Krisen geführt – und in manche gestürzt. Der einstige Maoist, der in den 1980er-Jahren zum Sozialliberalen mutierte, holte 1993 erstmals Fremdkapital in das Projekt. Ein Jahr später lancierte er eine 70-seitige, vielfarbige und mit zusätzlichen Lokalredaktionen ausgestattete angeblich ganz neue Libération. Es wurde eine totale Bauchlandung – von der sich die Zeitung bis heute nicht erholt hat, weder finanziell noch politisch.

Im vergangenen Jahr nach dem EU-Referendum knallte es in der Redaktion, weil July in einem Editorial die Non-Sager als „fremdenfeindlich“ beschimpft hatte. Im November streikte die Belegschaft gegen Entlassungspläne – die auch July unterstützte. Zugleich blieb er bis zuletzt eine einigende Figur an der Spitze und eine permanente Erinnerung an die einst hierarchiefreie Tradition des Blattes. Unter anderem veröffentlichte er sein monatliches Salär (rund 10.000 Euro) und reiste im Frühjahr 2005 nach Bagdad, um sich persönlich für die Freilassung der als Geisel festgehaltenen Libération-Reporterin Florence Aubenas einzusetzen.

Über die Pläne von Kapitalgeber de Rothschild mit Libération gibt es nur Spekulationen. Von Personalabbau ist die Rege und von Konzentration aufs Online-Angebot. Auch wird dem Bankier nachgesagt, er wolle Libération in ein „zentristisches Blatt“ verwandeln.

Die Redakteursgesellschaft von Libération glaubte noch im vergangenen Jahr, sie könne mit einer „Sperrminorität“ von 18 Prozent unabhängig bleiben. Das ist heute anders. „Wir sind sehr beunruhigt“, erklärt der Gewerkschaftsdelegierte und Redakteur François Wenz-Dumas.