Die Lehre von der Leere

PERFORMANCE Das Künstlernetzwerk barner16 entwickelt in seiner Performance „Die Wut des Vakuums“ einen experimentellen Kult um das Wunder des leeren Raums

Aber ohne das Vakuum, wie kann man sich da innerlich leer fühlen?

VON ROBERT MATTHIES

Ein absolut leerer Raum, was für eine verrückte Idee! So etwas könne es gar nicht geben, war sich der alte Aristoteles in seiner Physik sicher. Vielmehr verabscheue die Natur nämlich die Leere. Weshalb ein ebensolcher Raum auch Gas oder Flüssigkeiten ansauge: auf dass er eben nicht mehr leer ist. Auch Galileo Galilei oder René Descartes waren wie die meisten ihrer naturforschenden Zeitgenossen noch fest vom „Horror vacui“ überzeugt. Erst Blaise Pascal bewies der staunenden Welt 1647 schließlich das Gegenteil: es gibt tatsächlich nahezu luftleere Räume, in denen der Druck niedriger ist als der Atmosphärendruck auf der Erdoberfläche. Oder moderner ausgedrückt: es gibt quantenfeldtheoretische Systeme, die sich im Zustand geringstmöglicher Energie befinden.

Die Lehre von der Leere zieht auch das Künstlerkollektiv „barner16“ nicht in Zweifel. Ganz so sicher wie die Quantenfeldtheoretiker ist sich das Netzwerk aus behinderten und nicht-behinderten Musikern, Filmemachern, bildenden Künstlern, Schauspielern und Tänzern aber nicht, was es mit dem Raum voller Nichts nun genau auf sich hat.

Viermal begeben sich sechzehn Künstler von „barner16“ ab heute auf Kampnagel auf die experimentelle Suche nach der „Wut des Vakuums“. Ganz wie bei den Renaissance-Physikern geht es dabei zunächst um die Frage, was das Vakuum eigentlich ist. Soll man sich das Ganze wie ein Nichts vorstellen? Oder doch eher wie ein Schwarzes Loch? Und an welchem Ort befindet sich dieser Raum?

„Ich stelle mir das Vakuum wie eine besondere Energie vor, die uns ausfüllt“, erfährt man von einer der Forschenden. Eine Energie, die man beeinflusse könne, indem man daran glaube, durch Vorstellungen. „Das Vakuum ist nichts weiter als eine Lüge. Es gibt keinen luftleeren Raum im Kopf oder andere spirituelle Aktivitäten dieser Art“, ist eine andere Stimme fest überzeugt. Aber ohne Vakuum, wie könne man sich da innerlich leer fühlen, fragt wieder die Erste.

Als kollektiver künstlerischer Forschungsprozess will „Die Wut des Vakuums“ keine Gewissheiten vermitteln, sondern neue Sichtweisen erproben und die Grenzen der Wahrnehmung ausloten. Und dabei auch neue künstlerische Formen jenseits klassischer Vorstellungen von Theater entwickeln. Denn welche Themen für ein Stück interessant sind, wie die Handlung sich entwickelt und wie das Miteinander sich gestaltet, das hängt bei „barner16“ immer mit den Eigenarten der Mitwirkenden zusammen.

Und so bauen die Leerenden gemeinsam mit Physikern und dem Wiener Performancekünstler, Sehnsuchts- und Utopieforscher Otmar Wagner („Die Philosophen wurden genügend interpretiert, es kommt darauf an, sie zu singen“) das Vakuum nach, machen es in verschiedenen Experimenten sicht- und hörbar. Mit Taschenlampen wird die Dunkelheit ausgeleuchtet, der Lichtkegel fällt auf eine Zeichnung, Videoclips flimmern über die Leinwand, vielstimmige Vokalcollagen und Klangteppiche vom wohl prominentesten „barner16“-Projekt „Station 17“ und „Schneider TM“ bringen alles, was im von einem Labyrinth von Abflussrohren durchzogenen Bühnenraum nicht Leere ist, zum Schwingen. Keine letztgültigen Antworten werden hier entworfen, sondern ein experimenteller Kult um ein Wunder.

So ganz im luftleeren Raum schwebt „Die Wut des Vakuums“ dabei übrigens nicht. Vor vier Jahren hatte das erste multimediale Stück von „barner16“ Premiere. Gemeinsam mit Jacques Palminger und der Flüchtlings-Theatergruppe „Hajusom“ ging es bei der Science-Fiction-Operette „Kongress der Planetenvereinigung“ auf dem irgendwie an die Hamburger City Nord erinnernden Planeten Tenalp um die Frage, ob die Erde schon reif für eine Aufnahme in den planetarischen Zusammenschluss ist. Ab morgen werden wir zumindest besser verstehen, wie die Reise dorthin zu schaffen sein kann.

■ Do, 17. 6. bis So, 20. 6., je 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20