Überraschungssieg bei der WM

Überall in Berlin werden die Fußballspiele gezeigt. Den größten Flair garantiert ausgerechnet die Fan-Meile im Tiergarten. Die taz nennt fünf Gründe, warum ein Besuch des Massenspektakels lohnt

1. Das Publikum

Es ist so, als ob man das Wetter reserviert hätte. Pünktlich zur Ankunft der Fans aus aller Welt ist der Sommer da. Es ist richtig warm in Berlin und die Fan-Meile ist die Verkörperung eines Lebensgefühls, das man in der Welt bisher nicht mit Deutschland verband. „Das ist nicht mein Deutschland, sie haben es mir ausgetauscht“, schreibt die spanische Zeitung El País.

Auf der Fan-Meile tanzen Kroaten mit Brasilianern. Ein junge Frau mit ecuadorianischer Flagge wird von einem Mädchen mit der polnischen Fahne geküsst. Auch die vielen Deutschen mit verschiedenen Hautfarben passen mit ihren schwarz-rot-goldenen Outfits perfekt zur Partylandschaft. Alle zusammen feiern sich selbst, die Stadt und den Fußball. Schon melden sich Freunde aus aller Welt, die bisher nicht glauben wollten, wie schön es hier doch ist, und beklagen sich, dass sie nicht dabei sein können. BUF

2. Das Farbenspiel

Am Sonntagvormittag versank die Straße des 17. Juni in Schwarz, Rot, Gold und Weiß. Doch kaum wurde auf den gigantischen Leinwänden das Holland-Spiel angepfiffen, verwandelte sich die Fanmeile in einen orange Teppich. Am späten Abend schließlich dominiert ein tiefes Rot, denn Portugal spielt. Gestern war das Brandenburger Tor umringt vom Gelbblau des „Sverige“-Trikots. Das rotweiße Karo der Kroaten vom Dienstag dürfte sogar aus der Luft zu sehen gewesen sein. Nicht zu toppen bleiben aber die brasilianischen Farben. Sobald Ronaldino & Co. den Platz betraten, glänzte Deutschlands Jubelmeile Nummer 1 gelb und grün. Ein solches Farbenspektakel sah Berlin zuletzt beim Feuerwerk bei der Eröffnung des Hauptbahnhofs – nur waren an dieser Inszenierung vielleicht ein Dutzend Leute beteiligt. Bei der Fan-Meile sind’s mehrere hunderttausend. Täglich. FLEE

3. Die Sicherheit

Die Fan-Meile hat gegenüber vielen anderen Großveranstaltungen einen unschätzbaren Vorteil: Sie ist nach mehreren Seiten offen. Denn im Fall einer Panik oder einer Schlägerei – bei solchen Events nie ganz ausschließbar – können die Zuschauer rasch und ohne große Hürden, von einigen Imbissständen abgesehen, in den Großen Tiergarten ausweichen. Hier gibt es zur Not Platz für Hunderttausende. Dass Menschen in Panik an Zäunen oder Mauern zerquetscht werden, ist so gut wie ausgeschlossen. Dies war auch immer ein wichtiges Argument dafür, die Love Parade hier abzuhalten.

Für die Fans hat der Tiergarten einen weiteren Vorteil: Wenn sie dem Trubel etwas entkommen wollen, sind es meist nur ein paar Schritte bis zur nächsten Wiese, auf der es relativ entspannt zugeht. Für Bäume und Gebüsch sind die Massen natürlich Stress. Umso wichtiger ist es, dass der aktuelle Hitzestress durch ausgiebiges Gießen abgemildert wird – damit der Tiergarten auch künftigen Großveranstaltungen als sicheres Gelände mit kameratauglicher Kulisse dienen kann. ROT

4. Die Akustik

Was wäre Fußball-TV ohne die wunderbaren und die wunderbar doofen Sprüche der Kommentare? Die gibt es natürlich auch auf der Fanmeile zu hören, problemlos versteht sich, dank der fett aufgefahrenen Technik. Die kann nicht einmal von den ständig vor den Bildschirmen gröhlenden Schwarz-Rot-Goldenen übertönt werden. Den schönsten Effekt erleben Soundfetischsten aber zwischen zwei Bildschirmen. Nirgendwo in der Stadt lässt sich derzeit die Langsamkeit des Schalls besser nachvollziehen als auf der Fanmeile. Stets erreicht den Zuschauer zunächst der Live-Sound von der nächstbesten Leinwand – nur um wenige Sekunden später von der Schallwelle der etwas weiter entfernten Bühne überspült zu werden. So darf der Fußballfan nicht nur die Torschreie der Kommentatoren gleich zweimal erleben. Anhand dieses doppelten Vergnügens kann man dem mitbebrachten Nachwuchs auch noch die Wunder der Physik erklären. Wenige Meter weiter im Park gibt es zudem einen akustischen Genuss für Naturfans: Nachtigallen, die auf Teufel komm raus gegen den Fußballlärm anträllern. GA

5. Die Bildschirme

Achtung! Achtung! Folgende Zeilen könnten im Verdacht stehen, Schleichwerbung zu betreiben, mindestens aber, einem ausgebufften Marketingkonzept auf den Leim zu gehen. Also wird das Wort „Philips“ in den folgenden Sätzen mit „der Hersteller“ ersetzt. „Der Hersteller“ nämlich ist nicht nur einer der Hauptsponsoren der Fifa, er stellt auch die „Flat Screens“ beim „Public Viewing“ in der ganzen Republik. Auf der Fanmeile gibt es fünf solcher Bildschirme mit insgesamt 200 Quadratermeter Fläche. „Der Hersteller“ weiß natürlich, dass alle Augen auf ihn gerichtet sind, und bringt deshalb seine neue „Ambilight“-Technologie zum Einsatz. Dahinter verbirgt sich ein Umgebungslicht um den eigentlichen Bildschirm herum, der den Zuschauer laut Eigenwerbung zum „Teil des Geschehens“ werden lässt. Der Zuschauer wiederum fragt sich, ob Ambilight auch dafür verantwortlich ist, dass man vorm Brandenburger Tor auch bei starkem Sonnenlicht alle Spieldetails sehen kann. Nein, erklärt der Fachmann am Stand „des Herstellers“, das hat mit der matten Oberfläche der Screens zu tun. Spätestens da denkt man, warum haben sie nicht schon bei vergangenen WMs solche matten Dinger hingestellt. Aber da gab’s noch keine Fanmeile. Und deshalb auch keinen „Hersteller“. WERA