Somalia rätselt über Islamisten

Nach dem Sieg islamischer Milizen in Somalias Hauptstadt Mogadischu sucht das Land einen politischen Ausgleich. Aber zunächst sind die neuen Herren militärisch am Drücker

NAIROBI taz ■ Gaarad Mohammed liest Zeitung in seinem winzigen Laden. Als sein Freund Ali Asser eintritt, fängt eine laute Diskussion zwischen den beiden Somalis im Stadtteil Eastleigh der kenianischen Hauptstadt Nairobi an – auf Somalisch. „Wir sind beide froh, dass die Warlords aus der Hauptstadt Mogadischu und aus der Stadt Jowhar rausgeschmissen worden sind“, erklärt Gaarad Mohammed hinterher. „Aber wir sind uns nicht darüber einig, wer jetzt die Macht im Land bekommen soll.“

Das ist typisch für die Diskussionen unter Somalis nach der Einnahme Mogadischus durch Islamisten, die nach mehrmonatigen Kämpfen mit über 300 Toten eine US-unterstützte Warlordkoalition vertrieben. Am Mittwoch nahmen die Islamisten die strategisch wichtige Stadt Jowhar ein, 90 Kilometer nördlich von der Hauptstadt, wo ihre Gegner sich verschanzt hatten.

Ladenbesitzer Mohammed findet, dass die Milizen der Islamischen Gerichtshöfe, die jetzt in Mogadischu das Sagen haben, endlich Ruhe und Ordnung bringen können. „Was sie in der Hauptstadt gemacht haben, sollten sie im ganzen Land machen. Die Menschen brauchen Frieden, um Geschäfte zu machen und damit Somalia wieder aufzubauen.“ Ali Asser, Automechaniker, hält dagegen: „Ich bin zwar Muslim, aber ich fürchte die Gerichtshöfe. Sie haben den Menschen verboten, die Fußballweltmeisterschaft anzuschauen, weil sie glauben, das Fernsehen hat einen schlechten Einfluss. Ich habe Angst, dass es eine Art Taliban-Regime wird wie damals in Afghanistan.“

Einer der führenden Gerichtshöfe in Mogadischu steht unter Leitung von Sheikh Dahir Aweys. Schon in 2000 verfügte dieses Gericht über gut trainierte Milizen. Aweys ist ein radikaler Islamist und sein Milizenkommandant Adan Hashi Ayro wurde während der Taliban-Herrschaft in Afghanistan militärisch ausgebildet. Beiden werden Beziehungen zu al-Qaida nachgesagt, und beide waren Hauptziel der USA, als sie eine Gruppe von Kriegsherren in Somalia finanziell unterstützte, weil diese gesagt hatten, sie würden den Terrorismus bekämpfen.

Nun ist die große Frage, was die Gerichtshöfe mit ihrer neuen politischen Macht anfangen werden. Ihre Erklärungen sind widersprüchlich. Bei einer öffentlichen Versammlung in Mogadischu sagte die neue Führung, sie strebe einen islamischen Staat an. In Gesprächen mit Ausländern wird das aber verneint. Wollen sie ganz Somalia in den Griff bekommen, oder werden sie die Macht teilen mit der international anerkannten Übergangsregierung von Präsident Abdullahi Yusuf? Die hat zwar nur wenig Einfluss und sitzt in der Stadt Baidoa, weil Mogadischu zu gefährlich ist. Aber sie hat die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

„Es wäre ein großen Fehler, wenn die islamischen Gerichtshöfe die Rolle der Regierung ignorieren würden“, meint Aidarous Ahmed, ein Intellektueller aus Mogadischu. „Viele glauben, dass die Gerichtshöfe Kontakt zu religiösen Fundamentalisten und vielleicht al-Qaida haben. Zusammenarbeit mit der Regierung würde sie im Ausland akzeptabler machen.“

Gleich nachdem die islamistischen Milizen die Warlords aus Mogadischu vertrieben, bot die Regierung den Islamisten Verhandlungen an. Doch die islamistischen Führer verweigern sich, solange die Regierung eine Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU) verlangt, um in Mogadischu den Frieden zu überwachen.

Und dann gibt es noch eine wichtige, aber stille Gruppe in der komplizierten somalischen Arena: die Clanältesten. Die traditionelle Clanstruktur ist noch immer sehr wichtig in der Gesellschaft. „Die Gerichtshöfe müssen genau wie die Regierung die Clans respektieren und die Ältesten bei Verhandlungen einbeziehen“, meint Aidarous Ahmed: „Die Clanstruktur ist nicht immer mit religiösen Prinzipien vereinbar. Entscheidend in der hiesigen Lage ist, was wichtiger ist für Somalier: die Religion oder der Clan.“ ILONA EVELEENS