Leistungsdruck, hab vielen Dank!

Der Kapitalismus war in dieser Woche mal wieder der verlässlichste Streiter für das Gute. Der Chef der NPD, Holger Apfel, legte den Parteivorsitz und seine anderen Ämter nieder. Seine Kameraden in der Neonazi-Partei sprechen von „Burn-out“. Da hat die Leistungsgesellschaft also erledigt, was die Gesellschaft selbst einfach nicht packt.

Dass sie es nicht packt, die Gesellschaft, lässt sich gerade in eben jenem Land bestaunen, in dessen Parlament Holger Apfel bisher auch die NPD-Fraktion leitete, in Sachsen. Ein Sportgericht in Leipzig entschied dort, Nazis dürften fürderhin nicht mehr Nazis heißen. Zuvor hatten sich eine Mannschaft aus Leipzig und eine aus der Kleinstadt Wurzen auf dem Fußballplatz gemessen. Der Torwart des Teams aus Wurzen sitzt dort im Stadtrat. Für die NPD. Die Anhänger aus Leipzig sollen „Nazi-Schwein“ und „Nazi-Bastard“ gerufen haben. Daraufhin beantragte der Verein des Geschmähten ein Verfahren. Der Gegner solle sich für die „diskriminierenden Äußerungen seiner Fans“ verantworten. Die Klagenden bekamen Recht.

Ein Schwein möchte niemand geheißen werden, „Bastard“ zu hören, nein, das ist nicht schön. Aber in anderen Fußballspielen wird rassistisch gesungen, Fans kriegen ihr Transparent kaum in sächsische Stadien, weil „I love football hate facism“ draufsteht. Und es passiert nichts. Sieht ein Spieler nicht so aus, wie sich das hochverehrte Publikum eine deutsche Biokartoffel vorstellt, lässt es ihn gern an seinem Vermögen teilhaben, den Ruf des Affen nachzuahmen. Doch der Verein, dessen Fans einen Nazi einen Nazi nennen, der zahlt 500 Euro.

Wo die Menschen versagen, muss das System ran. „Schweinesystem“ nennen es viele Neonazis deswegen, sie haben ihren ärgsten Feind längst erkannt.

Ließe man das Schweinesystem nur ungehindert seine Arbeit machen. 5.400 Mitglieder hat die NPD noch. Sie ist eine Partei, die das Große will und noch nicht einmal das Kleine gebacken kriegt. Rechenschaftsberichte zum Beispiel. Und ein Nazi zu sein, ist auch sonst ein stressiger Job. Irgendwie muss die arische Weltrevolution her, aber mit den Idioten neben einem, da kann es ja nichts werden. Es sei denn, man selbst führt diese mickrige Partei an. So denken echte Leistungsträger, die keine Konkurrenz scheuen. Entsprechend ätzend ist der Umgangston der Kameraden.

Wo es wenig Macht auszuüben gibt, hat man zwei Möglichkeiten: Teilen, um wie Jesus bei der Speisung der 5.000 aus einem Bisschen etwas Größeres zu machen. Oder man rafft das Wenige an sich, damit es sich riesig anfühlt. Der Nazi wählt zuverlässig immer die letzte Methode. 1933, Machtergreifung, muss was Genetisches sein. Aber zum Glück für die NPD versuchen die Bundesländer ihr gerade mit einem Verbotsverfahren den Arsch zu retten.

Nun bekämpft der Kapitalismus nicht nur die Nazis. Auch der Überwachungsstaat bekommt eins auf die Mütze. Brasilien, das wir gern noch Schwellenland nennen, damit wir nicht so viel Angst davor haben wie vor China, kauft keine Kampfflugzeuge bei den USA. Also bei Boeing, einem dort angesiedelten Unternehmen.

Am Mittwoch verkündete der Verteidigungsminister Brasiliens überraschend, sein Land werde 36 neue Kriegsflieger lieber doch von Schweden erwerben. Offiziell wegen niedrigerer Kosten, aber die Regierung in Brasília ließ schon sehr laut herumflüstern, der eigentliche Grund sei die Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA. 4,5 Milliarden Dollar gehen Boeing damit flöten. Was wird in Washington wohl mehr für Bewegung sorgen – Aufrufe von Empörten? Oder dass die Brasilianer lieber Saab fliegen?

Nichts gegen das Glauben an den Appell, auch die taz teilt ihn und freut sich, dass Bürgerrechtler aus der DDR sich mit ihrem Protest gegen die NSA dieser Zeitung anvertraut haben. Aber es würde die Wirksamkeit des Anliegens noch verstärken, wenn auch wir ein paar Kampfjets explizit nicht von Boeing kaufen würden.

Zwar hat sich die „taz“ seit Jahren aus dem Rüstungsgeschäft zurückgezogen, aber es soll angeblich noch Geld von dem Aufruf „Waffen für El Salvador“ übrig sein. Es müssten allerdings Senkrechtstarter angeschafft werden, etwas anderes kriegen wir auf unserem Dachgarten gar nicht gelandet.

Ach ja, Kapitalismus, du Superheld. Von Zeit zu Zeit allerdings wirkst du seltsam schwach auf der Brust. Dieser Michail Chodorkowski verkörperte doch einst dein Ideal: reich, kämpferisch, mächtig. Und jetzt muss er sich von einem Mann begnadigen lassen, dem man kein großes Unrecht antäte, riefe man ihn den Holger Apfel von Russland. Zudem wartet schon die nächste Anklage auf ihn. Lässt du manchmal eigentlich auch die Guten gewinnen?

DANIEL SCHULZ

ÜBERRASCHUNG