Ich schwenke keine Fahne

Ob ich für Deutschland bin? Deutschland ist der Koch – und die Welt ist zu Gast in unserem Restaurant. Da kann der Koch sich nicht hinstellen und die ganze Zeit schreien: „Ich bin der geilste Koch!“
VON THEES UHLMANN

Warum soll ich eigentlich eine Kolumne schreiben für eine Zeitung, in der die meisten aus der Redaktion das, was ich mit meiner Band mache und wofür wir stehen, nicht gut finden? Seltsam ist das, aber ist ja WM, und da gibt man gerne und es menschelt allüberall. Vielleicht kaufen sich ja auch deswegen ein paar veritable Jung-Indies diese Zeitung, was der taz ja auch ganz gut tun würde!

Die WM läuft seit 7 Tagen und auch ich war relativ pessimistisch, aber bis dato ist das wirklich vielleicht eine unaufgeregte, unreflektierte, aber äußerst angenehme Massenhypnose und garantiert das wichtigste gesellschaftliche Ereignis seit der Wiedervereinigung.

Die Welt ist vielleicht nicht zu Gast bei Freunden, aber zumindest ist bis jetzt „die Welt zu Gast bei Leuten, die sagen: ‚Das ist schon ganz okay, dass ihr hier seid!‘“ Und damit habe ich beileibe nicht gerechnet! Ein Hoolkessel in Dortmund und zwölf Weghaftungen nach dem Englandspiel. Wissen Sie, worunter das bei mir läuft?

Unter gute Bilanz! Dem Eröffnungsspiel habe ich beim Popkick in Berlin im Radio-Fritz-Zelt beigewohnt. Nach dem Spiel habe ich mir zum ersten Mal Seeed angesehen und als die 25.000 Menschen von dem Gelände, das für 15.000 ausgelegt ist, nach Hause gegangen sind, passierte … nichts. Sie sind einfach nach Hause gegangen. Es gab wohl eine Schlägerei, aber auf einem Dorffest mit über 300 Leuten gibt es minimal zwei Schlägereien. Es ist mir klar, dass die Taschen der Menschen, die da waren, nicht mit Foucault-Büchern und „Texte zur Kunst“-Ausgaben, sondern mit Bier vollgestopft waren, ist aber auch okay so und es ist einfach fantastisch, wenn da nichts passiert!

Was mich am allermeisten nervt, ist, dass die gebildete Presse total auf dieses Fahnenschwenkding abgeht. „Ist das gut? Ist das schlecht? Ist das Nationalismus? Ist das Patriotismus? Ist das dumm oder normal?“

Die Sache ist doch einfach so ambivalent und kompliziert und vor allen Dingen auch schon seit Jahren in der Diskussion aber eben einfach „in“ zurzeit! Ich möchte hierzu einfach Beppo zitieren, den Sänger der mächtigen „Walter-Elf“ aus Kaiserslautern, der zu mir vor etwa zwölf Jahren in einer Diskussion (Diskussion – ist das noch Punk?) sagte: „Ich bin Fußballdeutscher!“

Hört sich simpel an, ist aber ehrlich gesagt ein sehr schlauer Gedanke. Beinhaltet nämlich meiner Meinung nach alles, was man sich reingesogen hat, wenn man mit halbwegs wachem Schädel hier aufgewachsen ist. Auf der einen Seite das unreflektierte, reflektierte Sein für eine Sache, die alle anderen auf der Welt machen, a. k. a. das Nationalteam unterstützen. Auf der anderen Seite aber auch das „Ich weiß, das meine Opageneration Millionen von Menschen umgebracht hat, und ich trage Verantwortung, aber ich freue mich, wenn die deutsch-polnische Doppelspitze ne Bude macht!“

Ich gebe zu, ich neige zur Simplifizierung und zum Glauben an das Gute, aber Beppo hatte schon häufig Recht gehabt. In einem Radiointerview bei einem Sender, der in diesem Text schon genannt wurde, bekam ich diese Woche die Frage gestellt, ob ich für Deutschland bin! Ich habe gestammelt. Ich wusste es nicht! Ich trage keinen „Partisanen gegen Deutschland“-Kapuzenpullover mehr, aber ich schwenke niemals eine Fahne.

Ich habe geantwortet, dass Deutschland zurzeit der Koch ist – und die Welt ist zu Gast in unserem Restaurant. Und der Koch kann sich nicht hinstellen und die ganze Zeit im Restaurant schreien: „Ich bin der geilste Koch, ich mach das beste Essen und ihr könnt noch nicht mal Zwiebeln schneiden!“ Als Koch sollte man das Essen so gut zubereiten, wie es geht, und sollte dafür Sorge tragen, dass sich alle im Restaurant wohl fühlen.

Als Oliver Neuville in der Nachspielzeit das 1:0-Siegtor gemacht hat, habe ich gejubelt. Und in der nächsten Sekunde musste ich sofort an die ganzen Polen denken, die immer sonntags an meinem Haus vorbei in die Kirche neben der päpstlichen Residenz gehen, und bedauerte es, dass für sie die WM bereits gelaufen ist!

Ist das Europa?

Könnte sein. Das aller lustigste habe ich im „brilli.antville.org“ -Blog gelesen: „In Kreuzberg fahrnse Korso und grölen durchs Megafon: „Hier regiert der DFB.“

Schlichtweg genial!

THEES UHLMANN ist Sänger der Band Tomte und mit dem Label Grand Hotel van Cleef sein eigener Chef. Zuletzt erschien: „Buchstaben über der Stadt“.