„Ein Systemproblem“

INTEGRATION Die Linke lud einen deutsch-türkischen Ex-Gangster ein. Er sollte erklären, was falsche Migrationspolitik anrichtet

Die Strukturen, die ihn auf die schiefe Bahn brachten, die seien noch da

Von Christian Jakob

Cem Gülay spricht laut. So laut, als lebe er in ständiger Angst, überhört zu werden. Es sind nicht viele Journalisten zu dem Pressegespräch mit dem schillernden Deutsch-Türken in die Bürgerschaft gekommen. Doch wollte man seine Rede angemessen wiedergeben, müsste man jedes Wort in Großbuchstaben schreiben. „Die Gewalt wird explodieren“, denn „wir haben ein Systemproblem“, solche Sätze sagt er. Gülay spricht über „antitürkische Kampagnen“, über „heute 15- bis 17-Jährige, die niemand mehr unter Kontrolle“ zu bekommen droht.

Die Linksfraktion hatte den 40-jährigen Ex-Gangster mit politischen Ambitionen nach Bremen eingeladen. An seinem eigenen Beispiel soll er erklären, warum sich die Versäumnisse in der Integrationspolitik zu einer Zeitbombe auswachsen. Glaubt man seiner letztes Jahr veröffentlichten Biografie, dann stieg er nach einem „Muster-Abitur“ zu einer ziemlich großen Nummer in der türkischen Mafia Hamburgs auf. „Deutschland hat ihm immer wieder deutlich gemacht, nicht dazu zu gehören“, so kündigten die Veranstalter ihn an. Und so wurde er kriminell: Drogen, Körperverletzung, Anlagebetrug. Das ist Geschichte, doch die Strukturen, die ihn auf die schiefe Bahn drängten, die seien noch da. Bei Gülay klingt das so: „Die Mitte der Gesellschaft wurde von den selbsternannten Patrioten wie Koch, Stoiber oder Thilo Sarrazin aufgehetzt“, sagt er. „Da sagt ein Sarrazin, die Deutschen werden dümmer und schuld daran sei der niedrige IQ von uns Türken – und man gibt ihm Recht.“ Hunderttausende migrantische Jugendliche würden ausgegrenzt, lebten von Hartz IV. „Was glauben Sie, was aus denen wird? Wie lange will man sich das leisten?“

Die Lösung könne nur eine radikal andere Schulpolitik sein. „Die müssen aus dem Milieu raus. Da gibt es nur Elend und Gewalt.“ Gülay schwebt vor, „die Migrantenschulen“, an denen der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bei bis zu 80 Prozent liege, zu schließen. „Alle sollen gemeinsam zur Schule gehen, die sollen da bis 18 Uhr zusammen sein, das gleiche Essen essen.“ Das Problem seien nicht nur die Rechten: „Die Linken und Grünen sagen zwar immer, sie seien multikulti und offen. Aber die wollen letztlich auch nicht, dass ihre Kinder mit den Türken zusammen zur Schule gehen.“

Die Linken-Abgeordnete Sirvan Cakici mochte ihm nicht widersprechen. „Das ist alles nicht so weit weg von Bremen“, sagte sie. Die von Gülay beschriebene Ghettoisierung sei auch in Stadtteilen wie Tenever, Gröpelingen oder die Grohner Düne anzutreffen. Das trage dazu bei, dass migrantische Jugendliche auf die schiefe Bahn geraten. Sie kenne die Mechanismen aus eigener Anschauung: Ihr Bruder habe eine kriminelle Karriere eingeschlagen. „Erst haben die Lehrer behauptet, er sei ‚schwer erziehbar‘. Dann hat er einen anderen Weg eingeschlagen. Er war nicht so ein großer Gangster, aber in Sachen wie Drogenhandel und Messerstechereien verwickelt.“ Politisch werde „noch viel zu wenig gemacht“ um solchen Biografien vorzubeugen, sagte Cakici. „Aber es heißt immer, dafür sei kein Geld da.“ Nötig sei vor allem die Durchmischung von Schulen und Wohnquartieren. Manche Ausländer würden durch die Ausgrenzungserfahrungen einen „gewissen Hass in sich tragen“, sagte Cakici.