Missbrauchter Antifaschismus

Betr.: „Eine gewisse Doppelmoral“ , taz bremen, 6. 6.

Das Schlimmste an der DDR-Geschichtsschreibung war die Relativierung von Nationalsozialismus und Holocaust. Die NS-Diktatur erschien einfach als eine besonders brutale Form der Klassengesellschaft und der Holocaust nur als eine von vielen Brutalitäten des Regimes. Hauptopfer der Nazis seien Kommunisten gewesen; und da sie den SED-Staat führten, könne von kollektiver Verantwortung für den Nationalsozialismus keine Rede sein.

Dem „verordneten Antifaschismus“ (Ralph Giordano) lag die abenteuerliche Geschichtslegende zugrunde, die DDR sei ein posthumes Mitglied der Anti-Hitler-Koalition und Mitsieger des Zweiten Weltkriegs gewesen. Angesichts dieser Entsorgung aller unbequemen Fragen an die deutsche Geschichte konnte das Gift des Antisemitismus all die Jahre in der SED-Diktatur als antiimperialistisch drapierter Antizionismus fortwirken, die jüdischen Mitglieder der VVN wurden 1953 zu „zionistischen Agenten“ abgestempelt und ausgeschlossen. Folge dieser SED-Politik war eine niederschmetternde Unwissenheit über Israel, Juden und Judenheit überhaupt, die seit der Wende in der rechtsradikalen Szene der neuen Bundesländer explodiert. MARTIN ROONEY, BREMEN