Segler der 20 Klassen

Die sportliche Seite der Kieler Woche ist vielen Besuchern ein Buch mit sieben Siegeln. 2.000 Boote aus 50 Nationen treten an, doch allein schon die Namen der Disziplinen sind äußerst verwirrend

von Ralf Lorenzen

3,5 Millionen Besucher werden dieses Jahr bei der Kieler Woche erwartet, doch 90 Prozent von ihnen werden kein einziges Segelboot zu Gesicht bekommen. „Wir rechnen damit, dass 350.000 Zuschauer den Weg raus nach Schilksee finden“, sagt Sprecher Hermann Hell. Der Rest vergnügt sich beim Volksfest in der Innenstadt, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel am Samstag für die 124. Kieler Woche „Leinen los“ anordnete.

Wer einen Platz am Hafenrand oder gar auf einem der Zuschauerboote ergattert hat, darf sich zum Kreis der Eingeweihten zählen. Kaum eine Sportart erschließt sich dem Laien schwerer als das Segeln. Schließlich muss er 5.000 Segler aus fünfzig Nationen auseinander halten, die in 2.000 Booten, aufgeteilt in zwanzig Klassen, in jeweils zehn Rennen um den Sieg segeln. Das Segler-Suchspiel wird dieses Jahr etwas einfacher, denn erstmals gibt es in den olympischen Klassen Finalrennen. Die Top Ten nach den Qualifikationsrennen werden am letzten Tag dicht unter Land gegeneinander antreten.

„Ziel ist es, die Spannung zu erhöhen und den Segelsport den Zuschauern näher zu bringen. Hier wird wie beim olympischen 100-Meter-Lauf erst der Sieger ermittelt“, so Organisationsleiter Jobst Richter zur neuen Regattaform, die künftig auch bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei den Olympischen Spielen 2008 vor Quindao (China) gelten wird. Nach Problemen zum Jahresanfang guckt der Segler-Weltverband aufmerksam nach Kiel, einem Wettbewerb, der zwölf Mal so groß ist wie die Olympischen Spiele – ein guter Ort, um das neue System zu testen.

Auf sportlichem Gebiet verspricht in diesem Jahr das Zweimann-Kielboot „Star“ besondere Spannung. Der zweimalige olympische Gold- und einmalige Silbermedaillengewinner Robert Scheidt überraschte alle Fachleute, als er im vergangenen Jahr in Kiel seinen Umstieg aus der von ihm dominierten Einmann-Jolle in den Star bekannt gab. Nun muss der erfolgsverwöhnte 33-jährige Brasilianer beweisen, dass er sich auch in dieser Klasse durchsetzt, in der sich seit jeher die Weltelite tummelt.

Am attraktivsten für die Zuschauer ist jedoch der spektakuläre Anblick eines Tornado-Katamarans, der als die Formel 1 des Segelsports gilt. Zwei Segler hängen bei 60 km/h weit über dem Wasser am Rumpf ihres Bootes, der drei Meter aus dem Wasser ragt. In Kiel sind diesmal die amtierenden Welt- und Europameister Fernando Echavarri Erasum/Anton Paz Blanco (Spanien) und Darren Bundock/Glenn Ashby (Australien/Silber bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000) das Maß der Dinge.

Auch im nicht-olympischen internationalen Teil kommt es zu Kräftemessen ehemaliger Olympioniken. Neu im Programm ist die Katamaran-Klasse Formula 18, die aufgrund preislicher Vorteile und geringerem Trainingsaufwand immer beliebter wird. Hier treten unter anderem Surf-Silbermedaillengewinnerin Amelie Lux sowie der Tornado-Bronzemedaillengewinner und Lokalmatador René Schwall (Kiel) an.

„Wir zeigen, dass auch im Segeln die Welt zu Gast bei Freunden ist“, sagt Wilhelm Hell. Allerdings sind bei der Kieler Woche Hooligans und Ärger mit den Karten genauso Fremdworte wie Lagerkoller. „Die Segler genießen es durchaus, dass wir eine koedukative Sportart sind“, sagt Hell. Im Festzelt werde es erfahrungsgemäß erst dann deutlich ruhiger, wenn die olympischen Klassen dran sind. „Die sind genauso leistungsorientiert wie die Fußballer.“

Am Samstag herrschte allerdings Flaute in der Kieler Bucht, die Wettbewerbe begannen erst Sonntag Nachmittag. Der Segelsport hat eben auch Nachteile.