Hopp, schwarz-rot-schwyz, hopp!

In Bad Bertrich in der Südeifel entspannt sich die eidgenössische Nationalmannschaft für das heutige Spiel gegen Togo

Es gibt Orte, von deren Existenz man bislang nichts ahnte. Wie Bad Bertrich oberhalb der Mosel in der Südeifel. Das Ende der Welt. Ein Flecken voll 60er-Jahre-Charme mit 976 Einwohnern, Kurkliniken und -verwaltung, Schieferdächer und Fachwerk, keine Ampel. Sonne. Ruhe.

Hier wohnt die Schweizer Elf, im „Kurhotel Am Fürstlichen Schlößchen“. Am Ortseingang verkündet ein Schild: „27. Kanton der Schweizer Eidgenossenschaft“. Die Geschäfte sind paritätisch doppelbeflaggt. Bad Bertrich ist wohl die einzige Gemeinde, in der Schwarz-Rot-Gold nicht dominiert.

Auch die Begegnung mit dem Schweizer Team ist ein wohltuendes Korrektiv zur sonstigen WM-Raserei. Die Journalisten parlieren im Hofgarten mit den Spielern. Das allgegenwärtige Schwyzerdütsch steigert das Gefühl von Gemütlichkeit. Teamkoordinator Pierre Benoit sagt: „Wir wollen Ruhe ausstrahlen und alle Hektik vermeiden. Das färbt sonst nur auf die Spieler ab.“

In der Schweiz weiß man nicht, wie man das halb erfolgreiche Strategiegegurke gegen Frankreich (0:0) bewerten soll. Noch nichts war zu sehen vom avisierten feinen Kurzpass- und Tempospiel. Heute geht es gegen Togo (15 Uhr, ARD). Marco Streller sagt selbstbewusst: „Wir stehen bei vielen auf dem Zettel“ für eine gute WM – „und bei uns auch.“ Tranquilo Barnetta will nur dann „ein Offensivspektakel versprechen“, wenn wir „früh ein Goal schüüße“. David Degen, Zwillingsbruder von Dortmunds Philipp, warnt auf eigene Art: „Noch keine afrikanische Mannschaft hat bislang souverän verloren.“ Und er misst nach: Auch wenn viele Togoer „klein sind, sind sie doch alle sehr athletisch und dadurch doch groß“.

Dauerthema Hitze. Aber die Schweiz ist vorbereitet. In der Kabine, erläutert Teamarzt Rudolf Roder, wird eine Tiefkühltruhe stehen, darin „23 Neopren-Kühlwesten mit eingewobenen Kälteaggregaten“. Jakob Kuhn, der väterliche Trainer mit dem weißen Schopf, sieht keinen Vorteil beim Gegner: „Auch Schwarze müssen in der Hitze viel schwitzen.“ Er lächelt hintergründig.

Durch den Ort schlendern nur vereinzelte rotgewandete Fans (mehrheitlich U 30) und viele Kurgäste (meist Ü 70). Vor dem Restaurant Zumbusch sitzt Günter Eichberg, 60, der Bürgermeister, mit lässigem Karohemd, Dandyschühchen, riesiger Sonnenbrille und ein paar Honoratioren um sich. Ja, jener Klinikbesitzer Eichberg, der einst auf Schalke zum Präsidenten und „Sonnenkönig“ wurde. In seinem Heimatort ist er der Mittelpunkt, man bespricht dies und jenes: „Wo soll das Geld herkommen, Günter?“ Ein anderer: „Was ist mit den WM-Karten, Günter?“ Am Abend ist WM-Party beim Landrat. Man tuschelt, taktiert. Bordstein-Demokratie.

Eichberg erzählt gern seinen Werdegang. Anfang der 80er hatte er auch in Bertrich diverse Kliniken gebaut, die seien auch mit anderen Besitzern „heute noch überbelegt“. Er preist Bertrichs Perlen („ganz oben von der Hütte hat man die tollste Sicht“) und erzählt vom Drama im März: Alle vier Schwäne in Bertrichs idyllischem Schwanenweiher waren festgefroren, drei mussten eingeschläfert werden: „Ein Feuerwehrmann hatte sich schwer verletzt durch die panischen Tiere, sehr einsam ist es jetzt da und sehr traurig.“ Dabei ist doch der „Bertricher Windbeutel mit Schwanenhals“ die örtliche Spezialität – mit Copyrightvermerk.

„Alle in Bad Bertrich“, sagt Eichberg, „sagen ‚wir‘ zur Schweiz, es gibt eine volle Identifikation, ganz toll“. Frühestens im Halbfinale, hat er durchgerechnet, könne es zum Duell mit dem DFB-Team kommen: „Das wäre die Nagelprobe für unseren Ort.“ Dann würde das 976-Seelennest gegen sich selbst spielen, das kleinste Duell in der WM-Geschichte. Wir gegen uns.

Am Nachmittag bilden an die 120 Schaulustige ein Spontanspalier, als die Schweizer Elf vor dem Hotel den Fifa-Bus (Aufschrift: „WM 2006, it’s Swiss o’clock“) besteigt. Ein weiblicher Fan ruft: „Hopp, Schwyz, hopp.“ Die kurenden Rentner lächeln. Bad Bertrich kann zum Vulkan werden – für Sekunden.

BERND MÜLLENDER