Die „Junge-Welle“-Reiter

Weil Jugendliche lieber Podcast und MP3 statt Radio hören, versuchen es die Sender nun selbst mit Digitalangeboten. Bei den Öffentlich-Rechtlichen übt sich der Bayerische Rundfunk als Vorreiter

VON MAX HÄGLER

Kennen Sie das noch? Freitag abends um acht die Hitparade im Radio, das Bandgerät läuft, und gespannt fiebert man der Nummer eins entgegen. Oder: das Hörspiel, Donnerstagabend? Gibt’s alles noch. Aber immer weniger hören zu, zumindest der Nachwuchs dreht in Zeiten von Internet-Streams, MP3 und Podcasts spürbar seltener das Radio auf: Die Jugendwelle EinsLive vom WDR hat im letzten Jahr 10 Prozent der Hörer verloren, kaum anders im Rest der Republik: YouFM (Hessischer Rundfunk) minus 12 Prozent, Jump (MDR) minus 14 Prozent, Fritz (RBB) minus 16 Prozent, und auch die sich so jugendlich gerierenden privaten Energy-Stationen haben Reichweitenverluste zwischen 11 Prozent (Berlin) und 32 Prozent (München).

„Unser Sender hat zwar in absoluten Zahlen täglich immer noch 2,5 Millionen Hörer“, sagt Jochen Rausch, Programmchef von EinsLive zu den Reichweitenzahlen der Media Analyse 2005. „Aber es stimmt, wir merken, dass es neue Medien neben dem Radio gibt.“ Immerhin 100.000 Podcasts – digitalisierte Radiobeiträge – werden bei EinsLive monatlich heruntergeladen, „obwohl wir noch nicht viele Inhalte ins Internet stellen“. Rausch glaubt, dass sich Radio künftig parallel entwickelt: „Es wird werden wie beim Geld: Die einen gehen an den digitalen Geldautomaten, die anderen nutzen noch den quasianalogen Schalter.“

Nichts zu verlieren

Auch bei RMS, dem Generalvermarkter der deutschen Privatradios, spürt man den Druck des Digitalen. Man sei nicht in Sorge, heißt es zwar aus dem Haus, das 2004 624 Millionen Euro umgesetzt hat. Die Jugend würde eben „gerne ausprobieren“, die Reichweitenverluste seien „übliche Schwankungen im Medienverhalten“. Eilfertig hält RMS handfeste Trostpflaster bereit, um die Verluste zu relativieren, etwa eine niederländische Studie, die besagt, dass iPod-Nutzer auch eifrige Radiohörer seien. Und doch mühen sich inzwischen auch die Privaten ihre Hörer wieder einzufangen – wobei weniger an neuen Inhalten und Formaten gearbeitet wird als an den Vertriebswegen für die möglichst „gut durchhörbaren“ Stationen. Der hessische Sender FFH etwa kooperiert mit dem Handyhersteller Nokia, um den Hörern mittels „Visual Radio“ zusätzlich zum UKW-Radio Staumeldungen, Bandinfos, Klingeltöne oder Moderatorenfotos aufs Handy zu schicken. Gratis wird der Dienst allerdings nicht sein: Bis zu 9 Euro pro Monat veranschlagt FFH, der als Privatsender sein Geld sonst nur über Werbung verdient.

Besser hat es da der Bayerische Rundfunk (BR), der jährlich auf rund 900 Millionen Euro zurückgreifen kann – wobei 8 von 9 Euro vom Gebührenzahler kommen. Derart gut ausgestattet will der Staatsfunk beides verbinden: neue Inhalte, an die junge Zielgruppe gebracht mittels neuer Techniken. Verlieren kann der Sender nicht viel, eine Jugendwelle gibt es nicht, der Altersschnitt bei den bestehenden fünf Sendern schwankt um die 50.

Abseits der hitzigen Diskussion um die damit verbundenen Risiken für das bisherige Jugendangebot Zündfunk (die taz berichtete) ist es spannend, was die Journalisten von Hörfunk, Fernsehen und aus der Internet-Redaktion da beim BR planen: Unter dem Arbeitstitel „Junge Welle“ sollen zum ersten Mal in Deutschland alle Medien zusammenlaufen. Videoblogs von Nutzern soll es geben, eine Vorspulfunktion zu noch nicht gesendeten Beiträgen, dazu Filmmaterial aus TV-Redaktion und „Popmusik mit Einflüssen aus Rock, Black und Elektronik“, für Hörer auch abseits des Mainstream-Geschmacks, mit Liebe zum Ecken-und-Kanten-Programm. Konkret: Wenn ein Reporter vom Außentermin kommt, spielt er das Material aus seinem Recorder in den BR-Audiospeicher, und sofort können die User via Internet das ungeschnittene Originalmaterial „vorhören“. Genauso soll es möglich sein, sich Material aus dem Archiv zu holen. Der BR ist sicher, dass das Konzept aufgeht: „Die Junge Welle reagiert damit auf neue Nutzungsgewohnheiten junger Menschen.“

Nische fürs Pilotprojekt

Doch es könnte sein, dass es die Verantwortlichen bei der neuen Multimedia-Welle übertreiben in Sachen Digitalisierung. Der Medienstandort Bayern samt seinen vielen High-Tech-Unternehmen will nämlich endlich das Digitalradioformat DAB durchsetzen, und es sieht so aus, als solle die BR-Jugendwelle das Versuchskaninchen werden für eine Technik, über die der WDR-Mann Rausch sagt, „dass sie nicht angenommen worden ist“.

Im BR dagegen hört man ab Abteilungsleiterebene kaum ein schlechtes Wort über DAB – genauso bei den Geräteherstellern, für die die neue Technik auch einen neuen Absatzmarkt bedeutet. Selbst die Privatradio-Lobby hängt sich rein: Sie will keine Konkurrenz durch eine öffentlich-rechtliche 24-Stunden-Jugendwelle, und wenn schon, dann bitte nur per Nischentechnik DAB und nicht im normalen UKW-Radio. „Wir müssen diesen Ideen, wie schon seit vielen Jahren, ganz energisch widersprechen“, hieß es zuletzt im Februar von der Bayerischen Landeszentrale für Medien, die die Privatradios repräsentiert.

Falls sich Wirtschaft und Privatlobby durchsetzen und eine bayerische Jugendwelle nur im Internet und per DAB empfangbar sein sollte, dann werden inhaltsverliebte Bayern wohl weiter FM4 einschalten. Der österreichische Sender findet mit seinem eigenwilligen Kulturprogramm übrigens auch grenzüberschreitend junge Hörer. Und das, obwohl er analog sendet.